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Meinung: Westpakete – bis ultimo?

Dem Osten Deutschlands mangelt es nicht an Geld, sondern an Chancen

Von Matthias Schlegel

Was ist uns eine Nachricht wert? Manchmal kann sogar eine Aussage, die keine große Neuigkeit ist, Aufregung auslösen. Wie jetzt der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit. Im Osten nichts Neues: Das Wirtschaftswachstum ist geringer als im Westen, die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch, der Anteil an der gesamtdeutschen Wertschöpfung sinkt. Diese traurigen Zahlen überraschen kaum jemanden. Die Wirtschaftsinstitute verbreiten sie seit Monaten.

Dennoch brachte der Ost-Beauftragte Manfred Stolpe mit seinem Zahlenwerk gehörig Schwung in die schwelende Debatte. Und Emotionen. Denn diese Fakten können die beiden gegensätzlichen Lager gleichermaßen für sich vereinnahmen. Die einen sagen, der Osten sei ein Fass ohne Boden, da habe es keinen Sinn, immer mehr Geld reinzustopfen. Die anderen meinen, gerade weil es im Osten noch immer so düster aussieht, müsse die Bundesregierung bei den Transfers noch drauflegen.

Doch diese polarisierenden Positionen sind überholt und sie greifen zu kurz. Nur der rationale Kern beider Ansichten ist nach wie vor zutreffend: Die Bundesregierung muss endlich handeln. Die rot-grüne Koalition erweckt den Eindruck, als habe sie mit dem Solidarpakt II ein Westpaket geschnürt, das sie nun in den Osten schickt. Weshalb sie sich voller Befriedigung über ihre großzügige Gabe zurücklehnen kann. Doch der vom Jahr 2005 bis ins Jahr 2019 reichende Solidarpakt II, in dessen Verlauf insgesamt fast 160 Milliarden Euro Aufbauhilfe in den Osten fließen sollen, wird kein Selbstläufer. Er wird seine erhoffte Wirkung nur entfalten können, wenn er auf Bedingungen trifft, die ihm Dynamik verleihen.

Die fünf Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft wollen Schröder, Stolpe, Clement & Co. zum Jagen tragen. Sie fordern einen „Befreiungsschlag“ für die dahindümpelnde Wirtschaft in den neuen Ländern – weg mit investitionshemmenden Bestimmungen, allzu engen tariflichen Zwängen und überholten arbeitsrechtlichen Standards. Jeder ihrer Vorschläge wird im Einzelnen zu prüfen sein. Doch schon jetzt steht fest: Mit einer deckungsgleichen Gesetzeslage und einer konformen Bürokratie in West und Ost wird auch der Status quo im Entwicklungsprozess festgeschrieben – der Westen bleibt uneinholbar. Dieser Fortgang der Dinge würde aber nicht nur den selbst gesteckten Zielen aus der Zeit der Einigungseuphorie widersprechen, sondern auch der Forderung nach Angleichung der Lebensverhältnisse im Grundgesetz.

Natürlich ist es nachvollziehbar, wenn West-Kommunen beklagen, dass manche Ost-City mittlerweile schmucker aussieht als die Innenstädte in den alten Ländern. Und dass ihre Straßen schon lange keinen neuen Belag mehr gesehen haben. Solche Argumente lösen schnell Neidgefühle aus. Doch die verengen den Blick für das Wesentliche: Bei der Städtebauförderung, um bei einem Beispiel zu bleiben, geht es eben nicht nur um farbenfrohe Fassaden und bequemeres Wohnen. Es geht vor allem um eine Belebung der Infrastruktur, in der wiederum neue Arbeitsplätze als winzige Zellen eines vitaleren wirtschaftlichen Organismus’ entstehen können.

Die Lösung des Problems kann also nicht darin liegen, bei den Transfers zögerlich zu werden oder sie gar infrage zu stellen. Es muss vielmehr verantwortungsbewusster mit ihnen umgegangen werden. Das ist der Bund nicht nur dem Osten, sondern auch dem Westen schuldig.

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