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Meinung: Wie geht es uns?

Deutschland ist eine schwerfällige Gesellschaft geworden – auch weil die Kinder fehlen

Den Kindern geht es gut, das ist ja erst mal das Wichtigste. Diese Alltagsformel auf die Frage, wie es denn so geht, ist fast ausgestorben. So haben früher Eltern geantwortet, die von Sorgen umstellt waren, so reden heute noch viele aus der Großeltern-Generation; die Enkel sind gleich mitgemeint.

Keine Frage, dass auch heute für alle Eltern das Wichtigste ist, dass es ihren Kindern gut geht. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern könnte Deutschland auf die Frage nach seinem Befinden überzeugt antworten: Unseren Kindern geht es gut. Der Weltkindertag rückt uns vor Augen, dass Millionen Kinder schwer arbeiten und hungern, früh Waisen oder Soldaten werden. Da ist Deutschland ein Kinderparadies. Und mehr: Noch nie sind so viele Kinder mit beiden Eltern aufgewachsen. Prügel und Befehlston sind aus der Erziehung verbannt. Eltern von heute stehen als Vertraute und Ratgeber bei ihren kleinen und großen Kindern hoch im Kurs.

Wenn trotzdem kaum jemand so wie früher antwortet, dann hat das seinen Grund. Die Formel stimmt eben nicht mehr, wonach die Kinder erst mal das Wichtigste sind, nicht für die ganze Gesellschaft, nicht für einen großen Teil der Bevölkerung. Und deshalb ist etwas Wahres dran am großen Klagelied über die Lage der Kinder, das überall zerrüttete Familien, erziehungsschwache Eltern und vernachlässigte Heranwachsende sieht. Entgegen der Lebenswirklichkeit der meisten Kinder nimmt Deutschland sich als kinderfeindliches Land wahr. Die Selbstbezichtigung ist sympathisch, weil sich in ihr die Sehnsucht nach Kindern ausdrückt. Sie ist aber auch falsch und problematisch, denn sie führt zu den ewigen Sonntagsreden, die Eltern erbittern, weil sie so sentimental wie folgenlos sind.

Tatsächlich sind wir eine kinderferne Gesellschaft geworden, ein Land, das mit seinen Kindern fremdelt – was schwierig, aber doch etwas ganz anderes ist. Rund 720 000 Kinder sind im letzten Jahr in Deutschland geboren worden, 1950 waren es über 1,1 Millionen. Vor dreißig Jahren hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Haushalten mit Kindern gelebt, heute ist es weniger als ein Drittel und in manchen Großstädten gerade über zwanzig Prozent.

Kinder sind natürliche Dynamik. Wie sehr sich das schwerfällige Deutschland unbemerkt verändert, zeigt sich an seinen Kindern. 22 Prozent der 2001 Geborenen haben ausländische Eltern, sie kommen aus 160 Ländern der Erde – die deutsche Kinderwelt ist globalisiert. Wo Kinder sind, stellt sich die Bereitschaft zur Selbstbeschränkung, zur Verantwortung für mehr als die eigene Person unmittelbar ein. Kinder sind die natürlichen Garanten für konservative Tugenden, weil sie langsam wachsen, und für den Fortschritt, weil sie sich dauernd verändern. Wir haben wenige Kinder, das ist ein großer Verlust. Es geht ihnen gut. Und das ist erst mal das Wichtigste.

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