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Meinung: Wie Kaugummi im Haar

Nebenverdienst von Politikern: Der Vorwurf trifft Schuldige wie Unschuldige

Die Demokratie ist allen anderen politischen Ordnungen haushoch überlegen, weil sie weiß, wie Menschen sind. Sie beschränkt Privilegierungen und Macht grundsätzlich durch Regeln und Verfahren. Denn wo immer Rechte, Vorrechte und Macht verteilt werden, wirken sie wie Magnete auf Menschen, die sie absichtsvoll missbrauchen wollen oder zu schwach sind, um Versuchungen des Missbrauchs zu widerstehen. Aus diesem Grund versagt die Demokratie aber auch immer wieder vor ihrem Anspruch, wirklich jeden Fall von Missbrauch oder Regelverletzung zu unterbinden. Das kann sie so wenig, wie das Strafgesetzbuch Diebstahl und Betrug verhindern kann. Weshalb die Demokratie nach einem bekannten Wort nur deshalb die beste Staatsform ist, weil bisher noch niemand eine bessere erfunden hat.

Die Regeln und Verfahren, nach denen deutsche Bundestagsabgeordnete und Parteien ihr Einkommen beziehen, sind nach der großen Erschütterungen des Flick-Skandals und der Kohl-Spendenaffäre streng. Sie verbieten Bundestagsabgeordneten den leistungslosen Bezug von Zusatzgeld durch einen Energiekonzern, wie sie im Fall des ehemaligen CDA-Chefs Hermann–Josef Arentz vorgekommen sind. Die Vorschriften fordern Transparenz, die Offenlegung von Nebentätigkeiten und die Angabe der Einkünfte beim Bundestagspräsidenten. Und sie haben zwei fundamentale Schwächen. Als Strafe gegen den Verstoß ist erstens nur der öffentliche Skandal vorgesehen, der den Missetäter zum Sturz bringt. Das kann jemanden wirksam treffen, wie im Fall Arentz. Wer das Glück hat, dass die Öffentlichkeit gerade mit anderen Dingen beschäftigt ist, hat Glück und kommt davon – ein ziemlich fragwürdiges Sanktionssystem.

Das aber wäre, etwa durch Einführung von Geldstrafen bei Verletzung der Transparenzvorschriften, noch leichter zu regeln als die zweite Schwäche. Nebentätigkeiten und -einkünfte bewegen sich unweigerlich in einer Grauzone, in der zwischen Raffgier, gelenkter Interessenpolitik und wünschenswerter Verankerung im Wirtschaftsleben nicht eindeutig unterschieden werden kann. Jedenfalls nicht durch die Buchstaben eines Gesetzes; das Urteil darüber liegt im Auge des Betrachters. Eindeutig wäre nur ein Verbot von Nebentätigkeiten. Das aber sollte es nicht geben. Dann könnte nur noch in die Politik gehen, wer die Sicherheiten des öffentlichen Dienstes oder eines privaten Vermögens genießt. Das Resultat wäre ein Parlament der Reichen und Beamten.

Die deutsche Diskussion leidet zudem unter einem besonderen Problem. Die Öffentlichkeit bewundert die wirtschaftlich Erfolgreichen nicht, sie sind, im Gegenteil, verdächtig. Erst recht misstraut sie Politikern, die vor oder nach der Zeit in öffentlichen Ämtern viel verdienen.

Wenn ein Politiker mit Geld und Unternehmen in Verbindung gebracht wird, ist der Raffke-Vorwurf schnell zur Hand und klebt wie Kaugummi im Haar. Die Spenden der Dresdner Bank an die Junge Union sind von der CDU nach den vorliegenden Informationen vorschriftsgemäß behandelt worden. Hildegard Müller hat aber keine echte Chance zur Verteidigung, weil die Absichten des Spenders schon als Nachweis ihrer Käuflichkeit gelten. Das aber ist eine seltsame Form von Blauäugigkeit. Firmen spenden niemals uneigennützig; wer das nicht will, soll für das Verbot solcher Spenden eintreten. Wer sie, wie das geltende Gesetz, zulässt, muss sich schon der Mühe unterziehen, den Nachweis erfolgreich durchgesetzter Absichten zu erbringen.

Die kurzschlussartige Gleichsetzung von Politiker und Raffke hat aber vor allem eine fatale Nebenwirkung. Sie verhindert, das wirksamste Mittel gegen die Versuchungen der Grauzone einzusetzen. Das hieße nämlich, Politiker deutlich besser zu bezahlen und ihnen gleichzeitig zu nehmen, was jeden Politikercharakter latent verdirbt: die unglaublich privilegierte Altersversorgung. Der Landtag in Nordrhein-Westfalen wollte diesen Versuch wagen, jetzt hat er ihn auf die lange Bank geschoben. Wahrscheinlich aus Angst davor, dass „Bild“ den Abgeordneten vorrechnet, wie die Raffkes wieder zulangen wollen.

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