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Wie regiert wird: Kein Wort gibt das andere

Sprache ist das Element des Politikers, der seit alters her darauf angewiesen ist, über Erklärungen Menschen zu gewinnen. Diese Bundesregierung darf sich nicht beschweren, dass sie die Bürger gerade in einen politischen Unzustand führt, bildet sie doch die öffentliche Meinung durch aktives Nichterklären.

Schule des Skeptizismus: Vielleicht ist alles ganz anders. Vielleicht ist es so, wie die regierende Koalition es sich denkt. Vielleicht passen ihre Entscheidungen in jüngster Vergangenheit zueinander, und folgen sie einem Prinzip, zeigen sie Haltung und daraus logisch folgende Positionen. Wenn das so wäre – was wäre dann?

Union und FDP könnten durchaus für sich in Anspruch nehmen, vernünftig gehandelt zu haben nach dem Atomunfall in Fukushima. Logisch ist es schon, danach eine Denkpause, genauer: eine Pause zum Überdenken alter Grundhaltungen, zum Denken überhaupt zu machen. Es will doch ausreichend bedacht sein, das gute Ende: Was soll herauskommen? Wie ist Schaden von der deutschen Bevölkerung abzuwenden? Wie lassen sich dafür ökologische Zwangsläufigkeiten und ökonomische Notwendigkeit miteinander verbinden?

Unlogisch war es auch nicht, sich einem Bombardement Libyens zu widersetzen. Beim ersten Golfkrieg in den neunziger Jahren zeigte sich der hochgeachtete Richard von Weizsäcker schon skeptisch, ob solche Konflikte künftig noch mit militärischen Mitteln zu lösen seien. Wie er das argumentierte, rief er bei der Mehrzahl der Bürger Verständnis für eine abwartende, abwägende Haltung hervor. Es gab immerhin einmal eine Kultur der Zurückhaltung in Deutschland, die sich nicht so einfach wegkommandieren lässt. Das kann man denken und meinen, das kann man ausführen. Dann ist es folglich auch logisch, sich nicht an einem Kampfeinsatz, wohl aber an einem humanitären Einsatz mit Soldaten zu beteiligen.

Ein drittes Beispiel. Die Bundesrepublik ist aus der Finanzkrise, der weltweiten, wie kein zweiter Staat herausgekommen. Wie man mit diesen Zahlen so unbeliebt sein kann! Es ließe sich argumentieren, dass auch empirisch gesehen etwas richtig gemacht worden sein muss von der Regierung. Peer Steinbrück, der geachtete Finanzminister der großen Koalition, jetzt ein großer Skeptiker der Opposition, sprach unlängst nach der Kanzlerin zur Lage der Nation. Zu Beginn der Rede konzedierte er, das Paket der Koalition zur Bewältigung der Euroturbulenzen verdiene keine kleinkarierte, reflexhafte Kritik. Aus seiner Sicht gab es aber keine ausreichende Erklärung. Womit das Wesentliche angesprochen ist.

Eines lässt sich an allen drei Fällen beobachten: Der Mensch ist auf Kommunikation angewiesen, nicht alles erklärt sich von allein. Keiner weiß sicher, wie sehr der andere sich sorgt, ehe er hört, wie sehr der andere sich sorgt. Wo nur Wortblasen zerplatzen, bleibt Leere zurück. Die Leere der Sprache kann auch nicht versteckt werden unter „Wölbungen“, wie Fritz J. Raddatz das einmal nannte, auch nicht mit einem „aufgedonnerten Jargon der Künstlichkeit“, wie Kurt Sontheimer formulierte. Das alles gilt für die Politik zumal.

Sprache ist das Element des Politikers, der seit alters her darauf angewiesen ist, über Erklärungen Menschen zu gewinnen, sie im Forum der Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es richtig sein kann, ihm zu folgen. So wie der Politiker für sein Handeln verantwortlich ist, ist er es auch für seine Worte, die gesagten, die nicht gesagten. Kommunikation kann Schweigen sein, aber das wird dann auch beredt. Anders gesagt: Sprache gehört zum Tun. Und gerade zu Demokratien gehört das Informiertsein und das Meinunghaben. Diese Bundesregierung darf sich nicht beschweren, dass sie die Bürger gerade in einen politischen Unzustand führt, in eine latent weiterwirkende Unzufriedenheit mit ihnen, bildet sie doch die öffentliche Meinung durch aktives Nichterklären. Stattdessen beginnt in der Gesellschaft ein demokratieschädlicher Austausch von Ohnmachtsbekundungen.

Wenn das so wäre, was wäre dann? Es wäre der größte Fehler der Bundesregierung, so groß, dass er nicht zu ihrer direkten Abwahl, wohl aber zu ihrem Verwittern führen könnte. Immer mehr Menschen wenden sich ab, enttäuscht, desinteressiert, Vernachlässigung greift Platz, und die Lücken, die die Koalition hinterlässt, füllen die Leerstellen voll aus. Das alles, weil sie sich nicht erklärt, sich nicht erklären kann. So bleibt dann so vieles unerklärlich. Nur das Ende nicht.

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