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Meinung: Wie wir Amerikaner gewählt haben Klug Töricht

Von Jeff Gedmin Von Alan Wolfe

Als ich in der vergangenen Woche in den USA war, traf ich einen Freund, er ist Berater der Republikaner. Er ärgerte sich furchtbar über ein Fernsehinterview von George W. Bush. Der Präsident hatte gesagt, er sei zwar gegen die HomoEhe, unterstütze jedoch eingetragene Lebenspartnerschaften. Als der Interviewer nachfragte, ob diese Position nicht gegen das Parteiprogramm der Republikaner verstoße, antwortete Bush mit Ja. Der Widerstand seiner Parteifreunde gegen eingetragene Lebenspartnerschaften sei schlicht falsch, sagte der Präsident. Mein Freund hielt das für unklug – er fürchtete, mit dieser Äußerung könne Bush seine Wahlchancen bei der christlichen Rechten mindern.

Für mich war das Interview dagegen ein wunderbares Beispiel für das, was ich an Bush so mag. Dieser Mann hat seinen eigenen Kopf und spricht aus, was er denkt.

Ich gebe zu, es gab einen Moment in der langen Wahlnacht am Dienstag, da war es mir fast egal, ob Bush oder Kerry die Wahl gewinnt. Ich hätte mich sogar mit dem Gedanken anfreunden können, dass Kerry gewinnt. Warum? Weil diese Wahl so wahnsinnig spannend war! Wahlen sind fesselnd, sie bewegen ein ganzes Land. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral?“ Nein danke. Ich bin ein „Demokratie zuerst“-Typ – und stolz darauf.

Jeden Sonntagmorgen kaufe ich meine Zeitungen, darunter auch den Tagesspiegel, bei zwei freundlichen Herren an der Ecke Friedrichstraße/Mohrenstraße. Letzten Sonntag erzählte mir Willy, einer der Verkäufer, mit einer Mischung aus Spott und Ratlosigkeit über einen seiner Kunden, der ständig darüber lamentiere, wie sehr er die Mauer vermisse. Sein Kollege und er hätten dafür überhaupt kein Verständnis, sagte er mir.

Ich auch nicht. In der DDR und besonders in dieser Stadt, Berlin, habe ich mehr darüber erfahren, was Freiheit bedeutet, als in den Schuljahren in Amerika. In den 80er Jahren reiste ich mehrmals durch Ostdeutschland, als Student, als Lehrer, als Tourist. Da habe ich so einiges gelernt. „Die Freiheit ist ein wundersames Tier, und manche Menschen haben Angst vor ihr; doch hinter Gitterstäben geht sie ein, denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein.“ Das ist Poesie, wie ich sie liebe.

Den Wahlkampf fand ich großartig. Sind wir Amerikaner überpolarisiert, gespalten? Selbst wenn – wo liegt das Problem? Wir hatten einen spannenden, hoch umstrittenen Wahlkampf, der die Menschen für Politik interessiert hat: mit Anwälten in Lauerstellung und einer unbarmherzigen Presse.

Und es kommt noch besser. Die nächste Runde einer heißen Debatte in Amerika hat begonnen. Michael Moore wird noch reicher. Und am allerbesten: In vier Jahren machen wir das alles noch einmal durch. Bush oder Kerry? Für den Moment behaupte ich einfach mal: Na und?

Der Autor ist Leiter des Aspen- Instituts in Berlin.

Ich bin sehr enttäuscht. Zu einer funktionierenden Demokratie gehört, dass die Wähler die Regierung für deren Politik verantwortlich machen. Die Amerikaner haben das nicht getan. Die Wiederwahl von Bush ist eine dramatisch törichte Entscheidung der amerikanischen Wählerschaft. Ich respektiere den Wahlausgang, aber ich bedauere ihn zutiefst.

Es geht jetzt ja nicht nur um vier weitere Jahre für den Präsidenten Bush. Beide Häuser des Kongresses bleiben in republikanischer Hand, was bedeutende Auswirkungen auf die Zusammensetzung des höchsten Gerichts der USA haben wird. Amerika ist zu einem Einparteienstaat geworden – und dem Sinn, dass es nun überhaupt keinen Zweifel mehr geben kann, in welche Richtung sich das Land bewegt. Die Neokonservativen werden in Bushs zweiter Amtszeit an Einfluss verlieren, Colin Powell wird wahrscheinlich als Außenminister ausgewechselt. Rumsfeld? Wir brauchen dringend einen neuen Verteidigungsminister, aber Bush ist äußerst loyal. Innenpolitisch wird er versuchen, seine zeitlich begrenzten Steuersenkungen weit in die Zukunft festzuschreiben. Das Defizit wird also weiter steigen – und ebenso die Zinsen. Diese Wirtschaftspolitik ist schon nicht mehr falsch, sie ist eine solche Katastrophe, dass einem angst und bange um die Zukunft der eigenen Kinder werden kann.

Außenpolitisch wird sich die unilateralistische Ausrichtung dieser Regierung fortsetzen. Kyoto und ähnliche internationale Abkommen werden auch in dieser Legislaturperiode nicht unterzeichnet werden. Möglicherweise wird es zu keinen weiteren militärischen Präventivschlägen kommen – aber nur, weil der Regierung die Mittel dafür fehlen. Die Invasion des Irak war ohne Frage die größte außenpolitische Fehlentscheidung einer amerikanischen Regierung seit hundert Jahren. Was wird Bush also mit dem Irak machen? Vermutlich wird er keine weiteren Truppen hinschicken, er wird aber auch keine abziehen. Und er wird das tun, was seine Regierung am besten kann: ablenken. Man wird die Wahlen dort eindrucksvoll inszenieren, und was dann passiert, weiß kein Mensch.

Gegenwind wird diese Regierung also nicht von der relativ schwachen Opposition, den Demokraten, bekommen, sondern von der Realität: Es wird sich zeigen, dass die Administration ihre Politik in einem ideologischen Fantasieuniversum, in einer Gegenrealität betreibt. Im Irak hat dieser Realitätstest ja bereits begonnen. Die meisten meiner republikanischen Freunde bewundern an George W. Bush sein Durchhaltevermögen. Ich glaube aber, dass ihm das gerade fehlt.

Wenn es also nicht die Amerikaner sind, die Bush und seine Regierung zur Verantwortung ziehen werden für das, was sie angerichtet haben, werden es die anderen Nationen und der Rest der Welt tun.

Der Autor ist Professor of Political Science am Boston College und derzeit Fellow an der American Academy in Berlin.

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