zum Hauptinhalt

Meinung: Wie wir die Krise meistern können

Vier Vorschläge für ein Leben mit mehr Leistung und Eigenverantwortung Von Angela Merkel

Im Ausland gilt Deutschland als der kranke Mann Europas. In einer gemeinsamen Reihe von Tagesspiegel und DeutschlandRadio Berlin suchen prominente Autorinnen und Autoren nach Wegen aus der Krise. Zu hören sind die Beiträge sonntags um 12 Uhr 10 auf UKW 89,6.

Jede Woche beschweren sich einflussreiche Menschen, es sei nicht zu erkennen, dass

Deutschland sich endlich ändere. Ich denke genau andersherum: Es ändert sich nicht zu wenig, es ändert sich unglaublich viel, für manche zu viel. An Handy, E-Mail und Internet gewöhnen wir uns ganz gut. Es nutzt uns allerdings wirtschaftlich wenig, das Wissen nur anwenden zu können. Wir müssen diejenigen sein, die es schaffen. Auf die Chancen der neuesten gentechnischen Eingriffe zugunsten unserer Gesundheit hoffen wir, die gentechnischen Eingriffe bei Pflanzen und Nahrungsmitteln fürchten wir. Beides wird kommen. Die Frage lautet nur, ob wir verantwortungsvoll damit umgehen.

Die Welt ändert sich rasant, und Deutschland wandelt sich mit. Manchmal fühlen wir uns zwar eher mitgeschleift als mitgenommen, aber die wenigsten glauben, dass es ein Zurück geben könnte. Wie verändern wir die Regeln des Zusammenlebens in Deutschland, damit die Regeln wieder zur Wirklichkeit passen? Dazu braucht es zweierlei: Eine Veränderung des politischen Bewusstseins der Gesellschaft und eine Veränderung der politischen Führungsweise. (...)

Wir müssen uns ein gemeinsames Ziel setzen: die deutsche Wirtschafts- und Innovationskraft im europäischen Maßstab wieder ganz nach vorne zu bringen. Es muss zu einer Art Vereinbarung zwischen Politik und Bürgern kommen: Die Politik tut das in ihrer Macht Stehende, um Wohlstand und Sicherheit zu ermöglichen, dafür braucht es die Bereitschaft der Bürger zu mehr Leistung und Eigenverantwortung. Ob eine solche Vereinbarung mit Leben erfüllt werden kann, zeigt sich für mich an vier beispielhaften Punkten:

1. Wir werden nicht daran vorbeikommen, insgesamt länger zu arbeiten, wenigstens so lange wie die Schweizer oder Polen. Damit können wir die Kosten pro Ware oder Dienstleistung verbilligen und werden konkurrenzfähiger. Ein entscheidendes Mittel dazu sind die gesetzlich verankerten betrieblichen Bündnisse für Arbeit.

2. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, dass wir endlich zu einer durchgreifenden Vereinfachung des Steuerwesens kommen. Der normale Bürger hat kaum eine Chance, seine Steuerpflichten zu verstehen, das ist ein Unding. Die Steuerbelastung insgesamt darf auf keinen Fall steigen, also müssen zusammen mit der weitreichenden Streichung der Ausnahmetatbestände auch niedrigere Tarife eingeführt werden.

3. Die Wahrheit muss auf den Tisch, dass die gesetzliche Rentenversicherung für künftige Generationen nicht mehr den Lebensstandard sichern kann, sondern nur noch eine Grundversorgung. Es wird Aufgabe der Menschen im erwerbsfähigen Alter sein, deutlich mehr als bisher privat und betrieblich vorzusorgen. Die Politik trifft die Pflicht, auf ständig neue, teils willkürlich anmutende Belastungsrunden zu verzichten.

4. Wir sollten es wagen, Ausnahmen vom strengen Korsett der Regulierungen und Verwaltungsvorschriften zuzulassen und insbesondere den neuen Bundesländern die Freiheit geben, Neues auszuprobieren. Freiheit bringt mehr Unterschiedlichkeit, das ist wahr, aber eben auch mehr Chancen.

Mehr Freiräume, einfache Regeln, verlässliche Absicherung – das sind die Leitlinien, wie Veränderung mehr Gewinn als Verlust bedeuten kann. Ich nenne es auch das Leitbild der Neuen Sozialen Marktwirtschaft. Deutschland steht vor einer Herausforderung, die dem Wiederaufbau nach dem letzten Krieg in keiner Weise nachsteht. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Krise meistern können, weil in unserem Land mehr steckt, als zurzeit daraus gemacht wird. Zehn Jahre werden wir alles in allem wohl brauchen. Für den Einzelnen lohnen kann es sich aber schon sehr schnell. Das sollte uns gemeinsam Mut machen.

Die Autorin ist seit vier Jahren Vorsitzende der CDU.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false