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Wikileaks: Strategie der Obstruktion

Für die USA ist Assange ein Terrorist, für die Internetgemeinde ein Vorkämpfer der Freiheit. Die wohlwollende Sicht hat offenbar auch in Deutschland die meisten Sympathien. Bewiesenen ist keine der beiden Annahmen.

Julian Assange muss sich wegen des Verdachts der Vergewaltigung verantworten. Er ist Australier, befindet sich im Gewahrsam britischer Behörden und soll die Tat in Schweden begangen haben. Die Sache ist verzwickt, aber kaum jemand würde sich darum scheren, handelte es sich nicht um den Wikileaks-Chef. Das Verfahren, um das es in London geht, steht in extremem Missverhältnis zum Ausmaß der Vorwürfe, die vor allem in den USA erhoben werden. Ein Spion, Staatsfeind und Terrorist sei er, der hinter Gitter gehöre, mindestens, heißt es dort. Der Beleg sind die Unmengen eigentlich vertraulicher Dokumente, die er und seine Organisation ins Internet gestellt haben.

„One man’s terrorist is another man’s freedom fighter“: Dieser angelsächsische Leitspruch bewahrheitet sich auch im Internetzeitalter. Für die USA ist Assange ein Terrorist, für die Internetgemeinde ein Vorkämpfer der Freiheit. Die wohlwollende Sicht hat offenbar auch in Deutschland die meisten Sympathien. Jedenfalls ist hierzulande stets von einer Enthüllungsplattform die Rede und nicht etwa von einem Spionagering. Doch fußt diese Wahrnehmung auf der nicht bewiesenen Annahme, Assange werde von lauteren Motiven – dem Wunsch nach Aufklärung – getrieben.

Es braucht nicht mal eine Verschwörungstheorie, um daran zu zweifeln. Die massenhafte Publikation von Geheimdokumenten auf Wikileaks folgt keinem Muster, außer dem, dass mächtige Institutionen bloßgestellt werden. Heute geht es bei Wikileaks um Afghanistan, morgen um Russland und im neuen Jahr um eine US-Großbank. Assange will ganz offensichtlich das System – oder besser: alle Systeme – destabilisieren. Neben Inhalten soll die schiere Masse der Daten dafür sorgen. Die klammheimliche Freude vieler Menschen über diese anarchistische Strategie der Obstruktion ist ein politisches Signal. Und so kann die Auseinandersetzung mit Assange nicht mit juristischen oder wirtschaftlichen Mitteln gewonnen werden. Die Institutionen, die Wikileaks angreift, müssen die Legitimität ihres Handelns unter Beweis stellen. Gelänge das, hätte Assange tatsächlich etwas für die Demokratie geleistet.

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