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Flora deutsch, Moschee auch: Es fällt schwer, sich Berlin ohne den Islam vorzustellen.

© Kai-Uwe Heinrich

Islamkritik-Debatte: Wir stellen uns!

Wie aus der dauerhaften Ausgrenzung der Muslime kein Hass entstehen solle, fragte unser Autor Johannes Schneider die islamkritische Szene in Deutschland. Er bekam viele Antworten - und antwortet nun selbst. Eine Polemik.

Liebe islamkritische Medienkritiker,

schön, Sie haben gewonnen: Wir stellen uns. Wir von den Mainstreammedien, von jenem Kartell, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die islam-/islamismus-/migrations-/multikultikritische Szene zu diffamieren und unbescholtenen Bürgern die Morde Anders Breiviks in die Schuhe zu schieben. Sie haben uns erkannt: Wir sind die Schreiberknechte einer linksliberal dominierten Medienmaschinerie, und unser größter Wunsch ist es, einen wirklich pluralistischen Diskurs in diesem Land im Keim zu ersticken, in dem wir alles niederschreien, was nicht willenlos in unseren fahrlässigen Multikultichor einstimmt.

Sie haben recht: Wir haben Angst vor Ihnen – und wir haben Angst vor der Wahrheit. Und wir sind viel zu borniert, uns ernsthaft mit Ihnen auseinanderzusetzen. Am schlimmsten aber: Wir waren lange Zeit sogar zu borniert (und verblendet), uns ernsthaft mit uns selbst auseinanderzusetzen: Wie sonst hätten wir uns derart in uns selbst irren können? Bis vor kurzem wussten wir ja gar nicht, dass wir – außerhalb der paranoiden Fiktionen von Nazis und Linksradikalen – ein „Wir“ sind.

Ernsthaft: Auf diese Idee wären wir nie gekommen. Wir haben uns umgeblickt in unseren Redaktionen – und mit den Augen des eigenen Ich haben wir vor allem ein „Ihr“ gesehen. Wir fühlten uns umgeben von anderen, von Christen, Muslimen, Linken, Rechten, Fortschrittsverweigerern, Fortschrittsgläubigen, Klugen und Dummen. Es gab solche, die Techno hörten und solche mit einem deutschen Volkslied auf den Lippen. Einige dieser anderen waren sogar mit Henryk M. Broder befreundet, und andere wollten sich nur widerstrebend in eine der genannten Gruppen einordnen lassen. Es gab sogar solche, die glaubten, vieles zugleich zu sein, zum Beispiel linke christliche Fortschrittsverweigerer oder rechte muslimische Fortschrittsgläubige. Schizophren, oder?

Kurzum: Wir waren verwirrt. So schöne Sätze, wie einer von Ihnen auf der Plattform „Politically Incorrect“ an einen von uns richtete, konnten wir nie formulieren. Dieser schrieb über Meinungen und Ansichten, die in diesem Land zu Unrecht – das ging aus dem Kontext hervor – unterdrückt würden, gehöre auch jene, ein Land, ein Volk, und auch das deutsche, habe ein Recht auf eine eigene Identität und einen gesunden Patriotismus. Vielleicht haben wir den Begriff der „Identität“ zu lange in unserem Hirn hin- und herbewegt, um solche klaren, gut verständlichen Befunde tätigen zu können. Immer waren wir zu beschäftigt mit kleinlichen Fragen an uns selbst: Was ist ein Land? Was ist ein Volk? Was ist deutsch? Und was zur Hölle ist „gesunder“ Patriotismus?

Darüber haben wir völlig unsere innere Stimme vergessen, diese Stimme, die uns sagen soll, dass das Hemd uns näher ist als die Jacke, und dass heute deutsch ist, was vor 50 Jahren deutsch war, weil Herkunftsidentitäten – davon haben Sie uns überzeugt – in jedem Fall stabile Identitäten sind, unveränderlich, exklusiv. Es gab unter uns sogar solche „Biodeutsche“, um diesem schönen Wort einmal die Ehre zu geben, die sagten, dass sie sich, als sie aus Westdeutschland nach Berlin kamen, in Neukölln oder anderen von der Arbeitsmigration der letzten 50 Jahre geprägten Bezirken eher heimatlich fühlten als etwa in Köpenick oder Lichtenberg. Gut, das waren meistens Leute aus so degenerierten Herkunftsregionen wie dem Ruhrgebiet, aber trotzdem: Es sagt doch einiges aus über die Verwirrtheit, die uns umgab.

Lesen Sie weiter auf Seite zwei.

Diese Verwirrtheit hat uns auch daran gehindert, die Gefahr zu sehen, die von Menschen aus „moslemischen Ländern“, wie einige von Ihnen das nennen, ausgeht. (Wir fragen uns da natürlich gleich wieder: Moslemische Länder, was bitte ist das denn?) Daher kam wohl auch unser leichter bis mittelschwerer Ekel, als Ihre einschlägigen Foren, anstatt angesichts der nicht zuletzt mit Islamhass begründeten Taten Anders Breiviks einmal pietätvoll von Ihrem Lieblingsthema zu schweigen (womit nicht gesagt sein soll, Sie seien für die Taten Breiviks verantwortlich), bereits wenige Tage nach den Anschlägen von Oslo und Utøya wieder anfingen, darüber zu schreiben, dass der Islam (und nicht etwa Islamisten) Schuld am Elend am Horn von Afrika sei. Und dass Sie wiederum nichts mit den Taten von Norwegen zu tun hätten.

Bis heute fragen wir uns, ob Sie dem Koran nicht zumindest das Potenzial zubilligen sollten, historisch-kritisch und damit eben nicht als ultimativer Mordaufruf gegen alle Ungläubigen ausgelegt werden zu können. Und dass es im Umkehrschluss zumindest schwierig ist, die Religion oder ihre Schrift für das haftbar zu machen, was in ihrem Namen geschieht. Vielleicht haben wir auch einfach zu lange im Alten Testament gelesen, vielleicht haben wir uns zu viel mit Kirchengeschichte beschäftigt, um 1:1-Ableitungen bestimmter Schriftverse auf das Hier und Jetzt einer modernen Gesellschaft und ihrer religiös verbrämten Wohlstands- und Identitätskonflikte zu beziehen.

Und bis heute fragen wir uns auch ganz leise, ob unsere Gesellschaft einen unseretwegen auch aggressiven politischen Islam im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit nicht dulden müsste; genau in dem Maße also, wie es derzeit geschieht; mit allen Risiken, die das birgt. Und noch etwas: „Der Islam gehört zu Deutschland“, dieser Satz des Bundespräsidenten hat uns vielleicht genau so irritiert wie sie.  Uns jedoch, weil wir, nicht zuletzt in Akzeptanz der Macht des Faktischen, uns immer fragten: Ja, wie auch nicht?

Aber gut: Wir sind natürlich auch bis heute noch ein wenig die Naivlinge geblieben, die wir nur allzu lange waren. So haben uns ja auch die Trauerbotschaften des norwegischen Kronprinzen Haakon und von Ministerpräsident Stoltenberg tief bewegt. Wir – oder Teile von uns – sind eben doch noch ein wenig gefangen in der christlichen Botschaft der Liebe, wie wir sie lange Zeit verstanden haben: als Hingabe, nicht zuletzt an die, die uns Böses wollen.

Wahrscheinlich sollten wir diese Liebe eher so verstehen, wie manche von Ihnen das tun: als Gegenbild zum Hass des Islamismus. Und als Rechtfertigung dafür, diesem mit Verachtung zu begegnen. Wir sollten uns wohl endgültig der „Gefahr“ bewusst werden, die von einem zu nachsichtigen Umgang mit den „Feinden der Freiheit“ ausgeht. Und wir sollten aufhören, uns Sorgen um den Kern dieser Freiheit zu machen, sobald jemand sie „wehrhaft“ verteidigen will.

Vor allem aber sollten wir uns diese perverse, intellektualistische Macke abgewöhnen, von Zeit zu Zeit uneigentlich zu sprechen und zu schreiben. „Ironie versteht der Leser nie“, heißt es bei uns immer so schön. Darum hier noch einmal in aller Deutlichkeit: Wohl niemand von uns möchte Ihre Positionen dort, wo sie nicht beleidigend, persönlich und übergriffig vorgebracht werden, unterdrücken, zensieren, ignorieren. Eine demokratische Gesellschaft muss das aushalten, da haben Sie völlig recht. Gestatten Sie uns aber, dass zumindest einige von uns einfach nicht an die Unterscheidungen, Gruppen und Kategorien glauben, in denen Sie denken. Und dass manche von uns ihren Auftrag darin sehen, zu erläutern, wie falsch just diese unserer Meinung nach sind.

Einen schönen Sommer wünscht

Ein Journalist

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