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Ursula Weidenfeld.

© Mike Wolff

Wirtschaftsleistung: Ein Zwischenruf zum Wachstum

Alle Sorgen und Probleme scheinen vergessen angesichts der erfreulichen Wachstumszahlen. Ursula Weidenfeld sorgt sich um den Übermut spendierfreudiger Politiker.

Wie viel Wirtschaftswachstum brauchen wir? Die beste Antwort auf diese Frage geben zurzeit die Sozialdemokraten um Sigmar Gabriel und die Liberalen. Es kann gar nicht genug sein. Denn: Wer politisch gestalten will, braucht Geld. Und wer Geld braucht, braucht Wirtschaftswachstum. Das war die politische Logik der Vergangenheit. Und es ist die politische Logik der Gegenwart.

Kaum zieht die Wirtschaftsleistung des Landes wieder an, werden die Politiker übermütig. Die gute Laune des Wirtschaftsministers angesichts der erfreulichen Wachstumszahlen des zweiten Quartals hatte nur einen Grund. Rainer Brüderle träumt vergnügt von Steuersenkungen noch in dieser Legislaturperiode. In der Opposition sind die Illusionen noch eine Nummer kühner: Sigmar Gabriel will die Rente mit 67 abschaffen und die Leute künftig wie bisher mit 65 in den Ruhestand schicken. Die Sozialdemokraten glauben, dass man sich das leisten kann, wenn der Arbeitsmarkt so hübsch stabil bleibt, die Wirtschaft weiter wächst und wenn die Leute wegen des demografischen Wandels demnächst tatsächlich weniger Zeiten der Arbeitslosigkeit erleben werden. Dann wäre die Rentenreform des ehemaligen Superministers und Vizekanzlers Franz Müntefering (übrigens SPD) erst mal gar nicht so nötig gewesen, oder? Und man könnte den heutigen Wählern etwas Gutes tun. Die sind schon jetzt ein bisschen müde und finden die Aussicht, bis 67 arbeiten zu müssen, überhaupt nicht erfreulich.

Die ganze Debatte um nachhaltiges, verantwortungsbewusstes und klimafreundliches Wachstum? Vergessen. Die Erwartung, die deutsche Wohlstandsgesellschaft werde sich gern mit weniger begnügen? Verpufft. Die Sorge, ein alterndes Land werde nicht mehr genügend Energie für eindrucksvolles Wachstum aufbringen? Vertagt. Das Bekenntnis, Politik in Zukunft nicht nur im Interesse der heute Erwachsenen, sondern auch für die nächsten Generationen zu machen? Tja, die Verhältnisse sind nicht so. Wenn man gerne in etwa zweieinhalb Jahren wieder an die Regierung will, dann müssen die nachwachsenden Generationen warten. Das Geld wird jetzt gebraucht, um die Zustimmung der Wähler zu kaufen.

In den vergangenen beiden Jahren hatte man gelegentlich das Gefühl, es gebe so etwas wie Erkenntnisfortschritte in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das war eine Täuschung. Es gab halt kein Geld für neue Wohltaten. Da wärmt man sich vorübergehend auch mal gern an schönen Gedanken.

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