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Alexander S. Kekulé ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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Wissenschaftskolumne: Das nächste Fukushima läuft anders ab

Die wichtigste Lehre aus Fukushima ist, dass Belange der nationalen Sicherheit nicht in private Hände gehören, meint unser Autor. Verstanden hat das nur Deutschland.

Auch ein Jahr nach Fukushima ist die Welt uneins darüber, welche Lehren aus dem Atomunfall zu ziehen sind. Klar ist nur, dass nicht noch mal in einer der erdbebenreichsten Regionen der Erde sechs Siedewasserreaktoren ohne externe Notstromversorgung und mit veralteten Sicherheitssystemen direkt ans Meer gebaut werden sollten. Anhand dieser niedrigen Messlatte stellten fast alle Nuklearstaaten ihren eigenen Anlagen hervorragende Zeugnisse aus.

Am meisten zu beneiden waren die Atomaufseher in der Schweiz. Das schwerste dort gemessene Erdbeben hatte eine Stärke von 5,8 – 60 000 Mal schwächer als das Fukushima-Beben. Das niedrigste Akw der Schweiz liegt 328 Meter über dem Meer. Bei den Risiken „schweres Erdbeben“ und „Überflutung“ schnitten die vier eidgenössischen Kernkraftwerke dementsprechend mustergültig ab. Die Akw, die rund 40 Prozent des Stroms im Alpenstaat erzeugen, dürfen ohne wesentliche Nachrüstung weiterlaufen.

Nur wenig kritischer wird die Lage in den USA gesehen. Als Reaktion auf Fukushima hatte die Atomaufsicht NRC zunächst erklärt, so etwas könne in den USA nicht passieren. Am vergangenen Freitag änderte die NRC ihren Kurs, nach hitzigen Debatten und rechtzeitig zum Jahrestag des Fukushima-Unglücks. Nun sollen alle 104 Leistungsreaktoren bessere Wasserstandsmesser in den Abklingbecken für verbrauchte Brennstäbe bekommen. Beim Fukushima-Unfall hatte man zunächst den Kühlwasserverlust im Abklingbecken des Blocks 4 nicht bemerkt – um ein Haar wäre es damals zu einer Kernschmelze unter freiem Himmel gekommen, die halb Japan unbewohnbar gemacht hätte. Zusätzlich müssen Siedewasserreaktoren vom Fukushima-Typ mit Lüftungsanlagen nachgerüstet werden, um Wasserstoffexplosionen zu vermeiden. Immerhin wird damit zugegeben, dass diese Vorkehrungen auch in den USA bisher fehlten. Wenn bis 2016 auch noch der Schutz vor Terroristen verbessert und die Sicherheit bei Überflutung und Erdbeben überprüft werden, sollen die Akw der USA sicherer sein als je zuvor.

Auch in der EU lief der „Stresstest“ für die Kernenergie bisher glimpflich ab. Alle Reaktoren gelten weiterhin als sicher, auch wenn hier und dort nachgebessert wird. In Frankreich etwa sollen die 58 Akw besser gegen Stromausfall, Kühlwasserverlust und schwere Naturkatastrophen gesichert werden. Einzelheiten werden noch erarbeitet, einen Zeitplan gibt es nicht.

Die zwei wichtigsten Lehren aus Fukushima stehen jedoch in keinem Prüfbericht. Erstens: Jede neue Katastrophe beruht auf einer neuen Kausalkette, deshalb kann die Vermeidung alter Fehler keinen Schutz garantieren. Technologische Risiken lassen sich nur durch Analyse von Szenarien vorhersehen, die auch das Zusammentreffen mehrerer unwahrscheinlicher Ereignisse berücksichtigen. Mit der Sicherung gegen solche „Restrisiken“ wäre die Kernkraft jedoch hochgradig unrentabel.

Zweitens: Belange der nationalen Sicherheit gehören nicht in private Hände. Das Gelände, auf dem das Akw Fukushima-Daiichi errichtet wurde, war ursprünglich 30 Meter über dem Meer. Die Betreiberfirma Tepco hat davon 20 Meter abtragen lassen, um billiger an das Kühlwasser zu kommen. Dass die Schutzmauern einem Tsunami nicht standhalten würden, war schon lange bekannt. Eine szenariobasierte Sicherheitsanalyse hatte Tepco nie veranlasst. So kam man nicht auf die Idee, dass durch einen Tsunami der Strom für die Kühlpumpen ausfallen könnte.

Deutschland hat, als einziges Industrieland, die richtige Konsequenz aus den Unfällen von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima gezogen. Die Kerntechnik auch in der Forschung kaltzustellen, wäre jedoch ein Fehler. Spitzenforschung in Sachen Reaktorsicherheit, Störfallmanagement und Bevölkerungsschutz wird dringend gebraucht. Und der Rat von Fachleuten, die nicht im Einflussbereich der Atomlobby stehen, ist lebensnotwendig – spätestens dann, wenn in einem der weltweit 432 Kraftwerksreaktoren das nächste Unglück passiert.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Foto: J. Peyer

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