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Kolumnist Matthias Kalle über das seltsame Spiel der Liebe und CDU-Politiker Christian von Boetticher.

© promo

Wochenrückblick: Kalle freut sich auf eine Hochzeit

Angeblich verlieren die Deutschen die Lust am Heiraten. Es muss ja auch niemand, meint Matthias Kalle, und macht sich Gedanken über die Vernunftehe.

In dieser Woche zum Davonlaufen, in der es hauptsächlich um die so genannte Schuldenkrisen ging oder aber auch schon wieder um brennende Autos und Berliner Feindbilder – und all das in einer Woche im Juli, die mit dem, was wir uns unter „Sommer“ vorstellen nur entfernt zu tun hat – zum Ende dieser Woche muss ich ausgerechnet auf eine Hochzeit. Das Paar, das heiraten wird, hat sich Mühe gegeben, die Trauzeugen sind engagiert, das Wochenende ist durchgeplant, denn die Hochzeit soll ein Fest werden, ein großes Fest, ein Fest der Liebe, und von dieser Idee, das merke ich immer wieder, bin ich kein Gegner. Und ich stelle fest, dass es Menschen, die dieser Idee noch vor einigen Jahren skeptisch gegenüber standen, ähnlich geht, dabei sagen doch die Zahlen und Statistiken etwas anderes.

Angeblich würden die Deutschen die Lust am Heiraten verlieren. So steht es jedenfalls in einer Studie, in einem Prognose-Modell, dass Jürgen Dorbitz errechnet hat. Dorbitz arbeitet für das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, und er hat errechnet, dass unter den Jüngeren jede dritte Frau und sogar knapp 40 Prozent der Männer niemals den Bund der Ehe eingehen werden. Für einen Statistiker heißt das folgendes: Die Bedeutung der Ehe ist dramatisch zurückgegangen.

Das ist natürlich Unsinn, das stimmt nicht, Zahlen können „Bedeutung“ ja nicht messen. Nur weil eine Sache weniger Menschen tun, ist die Sache denen, die sie tun, nicht weniger wichtig. Was aber können diese Zahlen erzählen von den Deutschen und dem Heiraten? Sie erzählen von ostdeutschen Männern, von denen noch 1980 gerade einmal zwölf Prozent lebenslang unverheiratet blieben und von denen es heute 41 Prozent sind. Das sei ein historisch beispielloser Anstieg. Im Westen seien diese Zahlen weit weniger dramatisch, was aber daran liege, dass dort dieser Prozess noch am Anfang stehe. Aber auch im Westen nehme die Heiratsneigung stetig ab.

Nimmt die Neigung tatsächlich ab? Wollen die Menschen nicht heiraten oder haben sie nur Angst davor? Warten sie möglicherweise so lange auf den richtigen Partner, dass sie bei all dem Warten und Zaudern und Zögern einfach vergessen zu heiraten?

Es muss ja niemand heiraten, jedenfalls nicht, um dem anderen und der Welt seine Liebe zu beweisen. Im 17. Jahrhundert galt die Hochzeit, galt die Ehe nicht als der Anfang, nicht als der Beginn der Liebe, sondern als ihr Ende. Der Eintritt in die Ehe bedeute, dass die Vorstellung von der romantischen, leidenschaftlichen Liebe vorbei ist. Möglicherweise wirkt das bei manchen noch nach, und sie entscheiden sich dagegen – und glauben, in dem sie sich dagegen entscheiden, entscheiden sie sich für die Liebe.

Umso seltsamer scheint es, dass plötzlich wieder so viele von der Vernunftehe sprechen, aber als alle anfingen davon zu sprechen, wusste ich nicht, was sie damit meinten. Ist nicht jede Ehe, die heute geschlossen wird, in weiten Teilen eine Vernunftehe? Wer heiratet denn aus purer Unvernunft? Und wieso sagt Arnold Retzer, Autor des Buches „Lob der Vernunftehe“, es handele sich hierbei um eine „Streitschrift“?

Darin stehen dann solche Sachen: Eine Ehe gelingt dann, wenn die Partner die altbekannten Ansprüche herunterschrauben. Deshalb solle man auf das große Glück verzichten, denn Ehen, die auf „etwas so Nebensächliches wie das Glück“ setzen, sind nach Retzers Erfahrung zum Scheitern verurteilt. Wer sich fürs eigene und gemeinsame Glück verantwortet, mache sich das Leben nur schwer. Nichts geben müssen und den andern sein lassen, das sei das Programm der Zukunft - man muss dann nur noch lernen, mit der eigenen Anspruchslosigkeit zu leben.

Das heißt aber nichts anderes als: Die Liebe ist mit dem Leben nicht vereinbar, weil unsere Vorstellungen von der Liebe absurd seien. Weil es eben unmöglich sei, ein Herz und gleichzeitig eine Seele zu sein. Weil jedes Paar eine Grenze um sich herum zieht, sich abkapselt, mit der Welt draußen nichts mehr oder nicht mehr viel zu tun haben will.

Andererseits: Kann man es ihnen verdenken in diesen Wochen zum Davonlaufen?

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