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Meinung: Wohin soll denn die Reise gehn?

„Startbahn Sehnsucht“ vom 14. August In den 70er Jahren fasste ich einen kühnen Entschluss: eine Individualreise in die Sowjetunion.

„Startbahn Sehnsucht“ vom 14. August

In den 70er Jahren fasste ich einen kühnen Entschluss: eine Individualreise in die Sowjetunion. Als Schauspieler hatte ich mehrmals im Land gearbeitet und große Sympathie empfunden. Darüber wollte ich meiner Familie nicht nur berichten, sondern es auch von ihr nacherleben lassen. Nicht per Flugzeug, Reisebus oder Reisegruppe, sondern mit dem eigenen PKW. Auf ins Land der Tschechows, der Puschkins, der Dostojewskis. Was lag näher, als diesen Plan mit Hilfe sachkundiger Mitarbeiter im „Haus des Reisens“ in die Tat umzusetzen. Die erste Hürde bestand in der Tatsache, dass für Reisen ins gelobte Bruderland ein knappes Kontingent zur Verfügung stand. Nach anfänglicher Ablehnung gelang es uns, nach hartnäckigen Kämpfen und Diskussionen, dass man uns letztlich doch Tauglichkeit bescheinigte. Endziel: Jerewan, Hauptstadt der Republik Armenien. Nun dachten wir, die geballte, professionelle Power des Hauses würde uns jetzt eine rundum perfekte Reise zusammenstellen. Irrtum: Eine sevicegeschulte Dame im eleganten grauen Tuch legte uns eine Landkarte der UdSSR und eine Auflistung der Hotels auf den Tisch. Wir sollten uns die Reise gefälligst in Heimarbeit zusammenbasteln. Lediglich standen da die Namen der Hotels, keinerlei Informationen. Und die für die Autoreise existenziell wichtigen Entfernungskilometer sollten wir anhand des Kartenmaßstabs irgendwie schätzen. Auf die nicht ganz unwichtige Nachfrage nach dem Benzin-Literpreis für unsere PKW-Reise demonstrierte das Haus des Reisens seine ganze selbst ernannte Weltoffenheit: Kein Mitarbeiter konnte den aktuellen Preis sagen. Lediglich nonchalante Vermutungen. Erst vor Ort erfuhren wir, dass hier Benzin seit eh nur mittels Gutscheinen getankt wird und diese an den rätselhaftesten Orten, die man mühsam erkunden musste, zu erwerben waren: in Fischgeschäften, Imbiss-Kiosken, Piwo-Buden, zweifelhaften Hinterhoffirmen. Diese Information war noch nicht in die weltoffenen Etagen im Haus des Reisens vorgedrungen. Dass es trotz dieser Schlampereien doch noch eine sehr schöne Reise wurde, hatte etwas mit unserer Fantasie, unserem Talent zum Improvisieren, unserer Energie zu tun. Nicht zu vergessen, mit den wunderbaren Menschen des Landes. Das Haus des Reisens war, mit Verlaub, eine einzige Parodie. Es fällt mir schwer, die Nostalgiegefühle des Herrn Robert Ide zu teilen. Die Würdigung eines Gebäudes sollte auch etwas mit seiner Aufgabe, seinem ureigentlichen Sinn zu tun haben.

Peter Reusse vom Kolberg

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