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Meinung: Wolffsohn oder: vom Recht auf Unrecht

Falsche Schlüsse treffen auf überzogene Reaktionen

Von Hubertus Knabe Wo, wenn nicht hier, kann man erfahren, wie es ist, wenn Gefangene gefoltert werden: Im StasiGefängnis Berlin-Hohenschönhausen sind die fensterlosen Kellerzellen noch erhalten, in denen der sowjetische Geheimdienst seine Häftlinge einst lebendig begrub. Frühere Insassen berichten den Besuchern, wie sie stundenlang stehen mussten, bis sie zusammenbrachen. Das Schlimmste war der Schlafentzug, der dazu führte, dass man irgendwann alles unterschrieb – nur um endlich schlafen zu dürfen.

Seitdem die Fotos aus dem Bagdader Gefängnis Abu Ghraib durch die Welt gehen, herrscht in dem Stasi-Gefängnis, das heute eine Gedenkstätte ist, Beklommenheit. Fernsehteams bevölkern den einstigen Gefängnishof und fragen fachmännisch nach den wirkungsvollsten Foltermethoden. Ehemalige Häftlinge reagieren verstört, weil ihnen die Singularität der eigenen Hafterfahrung genommen wurde.

In der Tat hat das amerikanische Gefängnispersonal in Bagdad, wenn die Berichte zutreffen, in manchen Details sogar die Folterknechte Stalins übertroffen: Mit einer Kapuze über dem Kopf wurde man nicht einmal bei der sowjetischen Geheimpolizei vernommen, hier reichte eine starke Schreibtischlampe, um die Gefangenen zu blenden. Dass man nackte Häftlinge zu einer Pyramide schichtete, wäre selbst den russischen Vernehmern nicht eingefallen, hier wurden die häufigen sexuellen Übergriffe auf Frauen vielmehr nach einiger Zeit verboten. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die Quälereien, im Unterschied zu vielen anderen Ländern, in den USA wenigstens ans Tageslicht gekommen sind und auch zu Konsequenzen geführt haben: Die Gefängnisleitung wurde abgelöst, Schlafentzug und schmerzhafte Körperhaltungen wurden – jetzt! – verboten.

In Hohenschönhausen kann man lernen, warum die Menschenwürde auch im Gefängnis unantastbar bleiben muss: Selbst aktive Nationalsozialisten, die 1945 dort ebenfalls in Haft saßen und vielfach elend zu Grunde gingen, haben das Recht auf menschenwürdige Behandlung und einen fairen Prozess. Die für totalitäre Systeme typische Allmacht der Geheimpolizei darf niemals wieder möglich sein. Folter ist schon deshalb kein Mittel der Wahrheitsfindung, weil es die Menschen, wie in den stalinistischen Schauprozessen, zu Falschaussagen zwingt.

Gerade wem die Lehren aus der Geschichte so klar vor Augen stehen, dem macht aber auch Angst, wie die Politik auf die Äußerungen des Münchner Historikers Michael Wolffsohn reagiert hat. Dieser hatte, inzwischen mehrfach zurückgenommen, in einer Fernsehsendung die Anwendung von Folter in bestimmten Situationen nicht ausschließen wollen. Er tat dies aus Sorge um die westliche Demokratie und begründete es damit, dass man den Terrorismus nicht mit Gentleman-Methoden bekämpfen könne – für viele ein Anlass, seine Entlassung zu fordern.

Doch Wolffsohn hat niemanden gefoltert und auch nicht die Folter auf den Lehrplan der Bundeswehrhochschule gehoben. Er hat nur laut darüber nachgedacht, dass der Rechtsstaat womöglich dazu gezwungen sein könnte, zur Abwehr von größeren Verbrechen seine eigenen Maximen punktuell außer Kraft zu setzen. So falsch seine Schlussfolgerung ist, so unverhältnismäßig erscheinen inzwischen die Reaktionen. Denn der angstfreie Meinungsstreit ist das Lebenselexier unserer Demokratie. Was nutzt der schönste Rechtsstaat, wenn man im Fernsehen nicht einmal mehr einen unrichtigen Gedanken äußern darf. Manchen ehemaligen Häftling aus Hohenschönhausen erinnern die zunehmenden Kopf-ab-Rufe in Deutschland bereits an Zustände in der einstigen DDR. Auch so kann die Freiheit gefährdet werden.

Der Autor ist Direktor der Stasi- Opfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

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