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Wolfgang Schäuble zu Griechenland: "Zur Hilfe gehört immer jemand, der sich helfen lassen will"

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über sein Image in Griechenland, Hilfspakete der Europäischen Union – und über Talente in der Koalition, die Christian Wulff nachfolgen könnten.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Herr Schäuble, wir müssen leider über Präsidenten sprechen. Sind Sie über Christian Wulffs Rücktritt eher erleichtert oder eher traurig?

Ich glaube, es ist genug gesagt und geschrieben worden zu dieser Frage.

Angela Merkel verliert den zweiten Bundespräsidenten, jetzt will sie einen überparteilichen Kandidaten. Gehen der Koalition die Köpfe aus?

Ich verstehe Ihre Frage jetzt mal als eine rein rhetorische. Wir haben viele gute und talentierte Köpfe. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.

Die nächste Frage leihen wir uns vom griechischen Staatspräsidenten: „Wer ist Herr Schäuble, dass er Griechenland verhöhnt?“

Ich kenne keinen Herrn Schäuble, auf den dies zutreffen würde. Da ist beim griechischen Staatspräsidenten vielleicht irgendetwas falsch angekommen.

Was könnte bei Karolos Papoulias denn falsch angekommen sein, dass er sein Volk verhöhnt sah?

Das müssen Sie ihn schon selber fragen. Ich weiß aber eines sicher: Alle Finanzminister in der Eurogruppe kämpfen seit 2010 mehr oder weniger unermüdlich für die Stabilisierung der Eurozone und gerade und besonders auch für die Stabilisierung Griechenlands. Und in dieses „alle Finanzminister“ schließe ich ausdrücklich meine Kolleginnen und Kollegen aus Finnland, den Niederlanden und Luxemburg und ja, auch den griechischen und den deutschen Finanzminister ein. Wir handeln gemeinsam, wir handeln einstimmig und wir handeln im Interesse Europas.

In Athen herrscht offenbar der Eindruck, dass die Deutschen den Griechen ihren Willen aufzwingen wollen.

Um den früheren Ministerpräsidenten Papandreou zu zitieren: Griechenland hat eine Reihe von Problemen. Diese haben sich zum Teil über einen langen Zeitraum aufgestaut. Und sie zu beseitigen, zumal schnell zu beseitigen, erfordert durchaus schmerzliche Prozesse. Diese Veränderungen sind daher nicht leicht umzusetzen. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum es auch bei der Umsetzung der vereinbarten Programme und Ziele nicht immer so umfassend und schnell und überzeugend klappt, wie man sich das wünschen würde – ja, wie es im Interesse des Landes sein müsste. So etwas nagt dann auch an der Glaubwürdigkeit. Das ist aber das wichtigste Gut – nicht nur vis-à-vis der europäischen Partner, sondern auch vis-à-vis der Märkte, der potenziellen Investoren, ja auch gegenüber dem eigenen Volk. Daher haben sich alle Europäer – auch die griechische Regierung – bereits im Oktober darauf geeinigt, dass wir mehr Begleitung, mehr Kontrollen bei der Umsetzung der Programme brauchen. Darum geht es – um nicht mehr und um nicht weniger.

Warum haben Sie das Vertrauen in die griechischen Politiker verloren?

Ich habe nicht das Vertrauen verloren. Aber wir müssen an der Glaubwürdigkeit, an dem Vertrauen und an der Verlässlichkeit arbeiten. Wir haben vor zwei Jahren ein erstes Griechenlandprogramm über 100 Milliarden Euro verabredet, mit klaren Vereinbarungen, das Geld in Tranchen auszuzahlen und jeweils nach Fortschrittsberichten der Troika aus EU-Kommission, Währungsfonds und Zentralbank. Ich brauche doch Ihnen die zum Teil langwierigen Korrekturerfordernisse und den Bedarf nach Nachsteuerung in diesem Zusammenhang nicht in Erinnerung zu rufen.

Aber rechtfertigen diese Erfahrungen eine Einmischung in Wahltermine?

Was ist denn daran Despektierliches, wenn man darauf hinweist, dass Italien auf seinem Weg im Augenblick sehr gut vorankommt?

Sie meinen den Weg der Expertenregierung?

Nun, jedenfalls den Weg einer Regierung, die von allen verantwortlichen Kräften im Land breit unterstützt wird und die Vertrauen in Europa genießt. Das ermöglicht Strukturreformen, die die italienische Verschuldung senken, vor allem aber das Land wettbewerbsfähiger machen. Dies schafft Vertrauen an den Märkten, was sich ja seit Januar in sinkenden Spreads und erfolgreichen Auktionen niederschlägt.

Was wird von den Griechen erwartet?

Was erwarten Sie denn konkret von den Griechen: Soll auch die Opposition sich auf den Sparkurs verpflichten?

Wir, also die Staaten der Eurozone und die Troika, erwarten nichts Neues, nichts Unerwartetes, nichts Zusätzliches, sondern lediglich, dass das umgesetzt wird, was die Staats- und Regierungschefs einstimmig, inklusive des griechischen Ministerpräsidenten, verabredet haben. Wir alle gemeinsam brauchen eine hinreichende Gewähr dafür, dass das Vereinbarte unabhängig vom Ausgang von Wahlen eingehalten wird. Das war bei Portugal so, das war bei Irland so und das gilt für Griechenland genauso. Zu dieser Sicherheit tragen die Umsetzung von noch ausstehenden Schritten bis Ende Februar und die verbesserte Begleitung der Implementierung bei. Was nun die Opposition angeht: Herr Samaras, der bisherige Oppositionsführer von der Nea Demokratia, hat einen Brief unterschrieben, in dem er sich auf das Programm verpflichtet.

Sind damit die Bedingungen erfüllt, damit am Montag die Finanzminister das zweite Rettungspaket verabschieden?

Ich habe den Eindruck, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Regierung in Athen hat uns kurz vor der Telefonkonferenz am vorigen Mittwoch endlich eine Liste aller Maßnahmen mit genauem Zeitplan übermittelt.

Und dann wird das Programm freigegeben – oder wieder nur konditioniert?

Die Finanzminister der Euroländer sind sich einig: Wenn Griechenland bis Ende Februar alle notwendigen Zusagen und Reformen in Kraft setzt und alle sonstigen Fragen geklärt sind, dann kann das zweite Hilfspaket gewährt werden. Ich denke, eine gestaffelte Zusage oder eine Zusage Zug um Zug wäre kein zielführender Weg. Wir werden am Montag über ein Gesamtprogramm entscheiden, das dann Schritt für Schritt umgesetzt wird.

Unterschriften, Listen, Zeitpläne – das klingt nach immer neuem Draufsatteln der Europäer.

Noch einmal: Wir stellen keine neuen Bedingungen. Aber Verabredungen sind einzuhalten. Das Ziel der ganzen Maßnahmen ist doch, dass Griechenland wirtschaftlich gesundet.

Und die deutsch-französische Forderung nach einem Sonderkonto für den griechischen Schuldendienst?

In der Eurogruppe besteht Einigkeit darüber, dass es ein solches Sonderkonto, auf Neudeutsch „escrow account“, geben wird für die Auszahlung des zweiten Hilfspakets. Das Konto stellt eine Priorität für den Schuldenabbau sicher.

An Hilfe für Griechenland mangele es nicht, sagt Schäuble - vor allem nicht aus Deutschland.

Die Sparprogramme treffen die Menschen in Griechenland hart. Müssten wir nicht mehr Verständnis für deren Sorgen zeigen?

Ich fühle sehr mit den Bürgern in Griechenland. Die allermeisten, die jetzt von den Reform- und Sparmaßnahmen – und lassen Sie mich einmal mehr an dieser Stelle dafür meine Hochachtung zollen – hart betroffen sind, können nichts für den Reformstau, den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit oder die unproduktive Verwendung von Geldern in der Vergangenheit. Wenn man dann noch mitbekommt, dass ein nicht unwichtiger Teil der Eliten sich auch in der jetzigen schwierigen Lage noch in Medien rühmt, keine Steuern zu zahlen, oder auf andere Weise zu verstehen gibt, dass ihnen das Wohl des Staates und der Mitbürger nur sehr bedingt am Herzen liegt, dann kann man verstehen, dass dies bei vielen als alles andere als fair und gerecht empfunden wird.

Was finden Sie unfair und ungerecht?

Es gibt in Griechenland nicht wenige reiche Bürger, die ihr Vermögen aus dem Land gebracht haben. Die entwickeln deutlich weniger Engagement als die Finanzminister der Eurozone, ihrem Vaterland wieder auf die Beine zu helfen. Die Menschen in Griechenland sollen nicht für Europa sparen. Sie müssen sparen und große Reformen hinter sich bringen, weil ihre Eliten ihr Land in diese Lage gebracht haben. Nur so wird das Land wieder auf die Beine kommen. Aber das ist ein sehr, sehr harter Prozess.

Ist die Grenze der Belastbarkeit von Kleinverdienern und Arbeitslosen nach den Sparprogrammen der letzten Jahre nicht langsam überschritten?

Ich kann es verstehen, wenn es Wut und Entrüstung in Athen gibt, weil die Mindestlöhne abgesenkt werden sollen. Andererseits, um es in eine Perspektive zu setzen: Der griechische Mindestlohn wird ungefähr auf das Niveau Spaniens abgesenkt. Außerdem: Was sollen die Menschen in den osteuropäischen und den baltischen Ländern Europas sagen, deren Mindestlöhne noch deutlich niedriger sind und die ebenfalls dazu beitragen, Griechenland zu helfen? Das ist für deren Politiker nicht leicht, dies zu Hause zu erklären.

Braucht Griechenland neben Sparprogrammen nicht auch eine Art Marshallplan?

Der Begriff des Marshallplans stammt aus einer Zeit, in der ein Kontinent nach einem verheerenden Krieg in Schutt und Asche lag. Wenn ich heute an der griechischen Mittelmeerküste entlangfahre, dann ist das eine andere Lage. Richtig ist aber, dass man Griechenland unter die Arme greifen sollte. Auf jeden Fall! Ich mahne die EU-Kommission schon lange, ihre Hilfe wirksamer und unkonventioneller zu machen, damit sie in Griechenland schneller wirksam werden kann. An Bereitschaft zur Hilfe hat es nie gefehlt, schon gar nicht in Deutschland.

Und warum wird daraus dann nichts?

Zur Hilfe gehört immer jemand, der sich helfen lassen will. Wir stehen seit geraumer Zeit bereit, den Griechen mit Finanzbeamten beim Aufbau einer effizienteren Steuerverwaltung zu helfen. Das Angebot wird bis heute nicht genutzt.

Und trotz aller dieser Probleme mit Eliten und nicht genutzten Angeboten können Sie auf eine Mehrheit der Koalition am 27. Januar zählen?

Ich erwarte das. Die Bundeskanzlerin und ich haben gemeinsam alle Möglichkeiten und ihre Folgen sorgsam geprüft und abgewogen. Und zwar ohne Dissens. Auf dieser Grundlage werden wir Entscheidungen treffen, die unserer Verantwortung entsprechen. Niemand macht sich diese Entscheidungen leicht.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Robert Birnbaum. Das Foto machte Thilo Rückeis.

SPARSAM ist Wolfgang Schäuble sozusagen von Herkunft: Zwar sind sie in seiner Geburtsstadt Freiburg gerne mal gutbürgerlich lebensfroh. Aber die Nachbarschaft – Schwaben im Norden, Schweizer im Süden – färbt unbarmherzig ab. SPERRIG kann der Doktor der Rechte für andere werden, wenn er sich im Recht sieht. Da das öfter vorkommt, ist die Zahl seiner echten politischen Freunde überschaubar. Vor allem in der FDP ist er denkbar unbeliebt. Da er aber trotzdem oft recht hat, begegnen ihm selbst Widersacher mit Respekt. SPASS macht ihm das politische Wirken immer noch und immer wieder. Dabei ist er jetzt schon der Dienstälteste – im Kabinett, aber auch im Bundestag, dem er seit 1972 angehört. Die schwere Krankheitsphase vor zwei Jahren hat er sichtlich ausgestanden. bib

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