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Meinung: Wollen Wähler Reformen?

Von Ursula Weidenfeld Es gibt Streit um die Vorschläge der Hartz-Kommission zur Reform des deutschen Arbeitsmarktes. Streit zwischen der Regierung und der Opposition.

Von Ursula Weidenfeld

Es gibt Streit um die Vorschläge der Hartz-Kommission zur Reform des deutschen Arbeitsmarktes. Streit zwischen der Regierung und der Opposition. Zwischen dem Kanzler und dem Kandidaten. Zwischen Wahlkämpfern. Doch es ist mehr als das. Es bahnt sich ein Grundsatzstreit an. Zwischen denen, die Reformen, einen Aufbruch wollen. Und denen, die am liebsten alles so lassen würden, wie es ist. So ist jedenfalls die Rhetorik aus dem Regierungslager. Es sieht so aus, als wolle sich die konservative Seite in das Bild fügen.

In den letzten Tagen haben sich die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften darauf verständigt, nach der Bundestagswahl eine umfassende Arbeitsmarktreform nach den Vorschlägen von Peter Hartz zu wagen. Diese Verständigung will der Kanzler heute besiegeln. Er verspricht: Wir machen es. Und wir machen es ganz. Edmund Stoiber dagegen sagt: Wir machen auch etwas. Aber nicht alles. Und es wird nicht weh tun.

Man mag grübeln, ob Stoiber ehrlich ist, wenn er meint, dass es nicht weh tun muss. Spannender aber ist die Frage, ob Schröder, die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften ehrlich sind. Ob sie den Bruch mit den Traditionen tatsächlich wagen. Ob sie eine generelle Verkürzung des Arbeitslosengeldes auf zwölf Monate vereinbaren. Ob sie eine gesamtwirtschaftliche Reallohnsenkung in Kauf nehmen, die es zwangsläufig geben wird, wenn wirklich neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, wenn Überstunden abgebaut und Leiharbeitsunternehmen gestärkt werden. Ob sie auch dann noch zur Reform stehen, wenn junge Ostdeutsche unter Androhung von Leistungskürzungen zur Arbeit in den Westen geschickt werden. Ob sie Stand halten, wenn Bauarbeiter, Handwerker und Kleingewerbetreibende sich in die IchAG abmelden, nur noch zehn Prozent Steuern zahlen und damit die Steuereinnahmen des Staates nach unten prügeln. Das alles ist Hartz. Und der Kanzler hat gesagt: Wir machen es ganz.

Klar: Man muss fragen, ob das Reformversprechen Gerhard Schröders von heute mehr Wert hat als der Schwur vom letzten Mal, die Arbeitslosenzahl auf 3,5 Millionen zu senken. Und, warum er in den vergangenen vier Jahren auf dem Arbeitsmarkt nur Stückwerk abgeliefert hat, wenn er es jetzt ganz machen will. Jenseits davon aber steht die Grundsatzentscheidung: Wollen Wähler Reformen? Bei der letzten Bundestagswahl, 1998, wollten sie keine. Wolfgang Schäubles Sozial-Reformprogramm mit der Lockerung des Kündigungsschutzes und den Einschnitten bei der Lohnfortzahlung wurde durch die Abwahl der Regierung Kohl geahndet. Und die SPD gewann - weil sie den Wählern versprach, dass sie alle diese Zumutungen im Fall der Wahl wieder kassieren werde.

Diesmal geht es anders herum. Es sieht so aus, als sei der Leidensdruck in der Bevölkerung endlich hoch genug, dass ein Bundeskanzler es wagen kann, offensiv mit einer Reformdrohung in die Wahl zu gehen. Daran wird er gemessen werden, wenn es doch noch einmal reicht. Und nicht an den Nebenabsprachen, mit denen er in den vergangenen Wochen Gewerkschaften und SPD-Stammwähler versöhnt hat. Denn diesmal würde er nicht Kanzler, weil er den Menschen verspricht, ihnen Zumutungen zu ersparen. Diesmal würde er Kanzler, weil die Menschen erwarten, dass gehandelt wird.

Der Wahlkampf hat ein Thema gefunden. Es heißt: Will Deutschland sich bewegen? Wenn Gerhard Schröder darauf ein Ja vom Wähler bekäme, folgte für ihn der schwierigste Teil der Operation Reformland Deutschland: Er müsste die SPD und die Gewerkschaften in Bewegung bringen. Wirklich. Jenseits aller Wahlkampf-Rhetorik.

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