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Wowereits Mannschaft: Berliner Trauerspiel

Die Umfragewerte für Klaus Wowereit und die Berliner SPD befinden sich im Sinkflug. Wowereit, ein alle in den Schatten stellendes Showtalent, bauernschlau und, anders als seine Kritiker behaupten, fast immer glänzend im Stoff, interessiert sich nicht für die Ebene.

Politiker, die bei Umfragen schlecht abschneiden, wiegeln düstere Prognosen gerne mit der Bemerkung ab, ausgezählt würde erst am Wahltag. Tatsächlich hat das Ergebnis der letzten Bundestagswahl die Berechtigung solcher Skepsis belegt. Aber selbstverständlich lassen schlechte Zahlen die Parteistrategen längst nicht so kalt, wie sie vorgeben.

Wenn im Umfeld des Regierenden Bürgermeisters jetzt über eine Senatsumbildung nachgedacht wird, hat das denn auch weniger mit Klaus Wowereits Gespür für die Stimmungslage der Berliner zu tun als mit den jüngsten demoskopischen Befunden von Infratest-dimap. Dieses Institut misst seit 1990 die gesellschaftliche und politische Befindlichkeit der Stadt mit Sorgfalt und stellt nun unter der Annahme, das neue Abgeordnetenhaus würde nicht erst 2011, sondern am heutigen Sonntag gewählt, diese Zahlen vor: CDU 23, SPD 25, FDP 12, Grüne 20, Linke 14 und Sonstige 6 Prozent.

Als Chef einer rot-roten Koalition muss der Regierende Bürgermeister bei der Addition der Werte eine Panikattacke bekommen. Nicht nur, weil seine zwar arbeitsame, aber oft glücklos operierende Mannschaft von einer neuerlichen Mehrheit weit entfernt ist. Nein, selbst eine große Koalition unter Führung der SPD mit einem Juniorpartner CDU verfügte nur, wenn überhaupt, über eine knappe Mehrheit. Wenn es nicht noch einen grundlegenden Stimmungswandel gibt, wird Berlin als Koalitionslabor der Nation ab 2011 von einer Drei-Parteien-Regierung geführt, der, unter welcher Konstellation auch immer, mit Sicherheit wohl nur die Grünen angehören würden. Die sind, siehe auch Hamburg, zur modernen Großstadtpartei geworden. Bei den Berliner Frauen genießen sie inzwischen mehr Sympathien als jede andere Gruppe. Sie haben nicht mehr nur bei den Intellektuellen, sondern auch bei durchschnittlich gebildeten Berlinerinnen und Berlinern eine starke Position, machen der FDP die Rolle als dominierende bürgerliche Partei streitig, die Demoskopen sehen Potenzial zur Nummer eins.

In Berlin kann man besichtigen, wohin Dauerstreit und Personalwechsel führen. In einer geradezu krankhaften, selbstzerstörerischen Sucht nach Konflikt zerlegt sich die CDU, und die Liberalen haben sich davon mit Hingabe anstecken lassen. Dass sie wohl besser abschneiden würden als 2006, ist angesichts des bundesweiten Höhenflugs der FDP kein Verdienst lokaler Größen. Die Stabilität der Linken auf abfallendem Niveau erweist sich als Nebeneffekt der Regierungslast und auch als Folge der demografischen Entwicklung – die einstige Stammklientel reduziert sich, altersbedingt.

Das eigentliche Trauerspiel aber ist die Entwicklung der SPD. Thilo Sarrazin, der diese Partei geerdet hat, gehört dem Senat nicht mehr an. Klaus Wowereit, ein alle in den Schatten stellendes Showtalent, bauernschlau und, anders als seine Kritiker behaupten, fast immer glänzend im Stoff, interessiert sich nicht für die Ebene. Ihn beschäftigen Werbereisen für die Stadt in alle Welt mehr als handfeste Projekte. Wirtschaft? Jobs? Verkehrschaos? Sicherheit? Alltag? Nein, diesem Regierungschef geht Ernsthaftigkeit ab. Er kümmert sich nicht. Deshalb verkümmert seine Partei, und mehr.

Journalisten, die aus persönlicher Vorliebe über Dinge schreiben, die dem Leser nicht wichtig sind, warnt man: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Für die Politik gilt das auch.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

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