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Manchen gilt das Kopftuch als Zeichen von Parallelgesellschaften.

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Zehn Jahre nach dem Urteil: Die Kopftuchgesetze verletzen die Menschenrechte

Die sogenannten Kopftuchgesetze haben, ganz anders als vom Karlsruher Urteil vor zehn Jahren vorgegeben, ein Symbol auf eine absurde Weise vereindeutigt. Es wurde darauf festgelegt, es sei abgrenzend und eine politische Kundgebung. Dabei ist mit dieser Haltung niemandem gedient.

Vor zehn Jahren, am 24. September 2003, wies das Bundesverfassungsgericht dem Land einen Weg, mit seiner wachsenden Vielfalt umzugehen: Ja, der Staat darf religiöse Zeichen in der Schule regulieren, auch verbieten. Aber er sollte ihre Bedeutung lesen können und sie nicht pauschal in gute und schlechte einteilen. Und er muss neutral bleiben, also alle Bekenntnisse gleich behandeln.

Der Karlsruher Weg hatte das Zeug zum Königsweg. Dass die zehn Jahre des sogenannten Kopftuchurteils dennoch ein trauriges Jubiläum sind, hat damit zu tun, dass man es vorzog, den krummen Feldweg, auf dem man längst unterwegs war, zu betonieren. Es würde längeres Nachdenken lohnen, was es für den Rechtsstaat Deutschland bedeutet, dass auch dieses Urteil des höchsten Gerichts, wie einst das zum Kruzifix, so – planvoll – missinterpretiert wurde.

Denken wir einfach über die unmittelbaren Folgen dieses Urteils nach. Die sogenannten Kopftuchgesetze, die acht von sechzehn Ländern daraufhin erließen – die meisten ostdeutschen Länder übrigens nicht – haben, ganz anders als vom Karlsruher Urteil vorgegeben, das Symbol Kopftuch auf eine absurde Weise vereindeutigt. Es wurde darauf festgelegt, es sei abgrenzend und eine politische Kundgebung, die an der Schule nichts zu suchen habe. Wie absurd diese Lesart ist, weiß, wer sich einmal die kleine, aber leider seltene Mühe gemacht hat, den viel geschmähten Kopftuchmädchen zuzuhören. Diese Gesetze versperren ihnen, von denen viele mit besten Noten und großem Engagement in den Beruf starten wollen, nicht nur den Schuldienst oder weitere Teile des öffentlichen Diensts – was schlimm genug wäre. Das Misstrauen gegen das Kopftuch hat längst Rechtsanwaltskanzleien, Arztpraxen und die Industrie erreicht. Auch Arzthelferinnen mit Kopftuch werden abgelehnt, und mögen noch so viele Ingenieurinnen fehlen: Eine mit Tuch kriegt trotzdem nicht einmal eine Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Davon zeugen Erfahrungsberichte des „Aktionsbündnisses muslimischer Frauen“ ebenso wie die Klagen, die bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingehen. Man kann auch die andere Seite fragen. Ein jüngeres Beispiel: In einer Umfrage unter den Mitgliedern der Industrie- und Handelskammer für Freiburg und Umgebung lehnten mehr als ein Drittel der Betriebe es ab, Frauen mit Kopftuch zu beschäftigen. Und das waren nur die, die offen genug waren, dies zuzugeben.

Unter der falschen Flagge der Neutralität verletzen die Kopftuchgesetze Bürger- und Menschenrechte. Es geht um die Gleichheit der Geschlechter, um Berufsfreiheit und, ja, auch um Religionsfreiheit. Auch sie ist ein Menschenrecht und sie ist fundamental, für Gläubige wie Nichtgläubige. Und sie bestreiten Frauen das „Streben nach Glück“. Die wunderbare poetische Formel der amerikanische Unabhängigkeitserklärung ist, ob ausdrücklich oder nicht, jeder liberalen Verfassung eingeschrieben. Aber für Frauen mit Kopftuch gilt sie nicht. Auch wenn sie Prädikatsexamina gemacht haben oder Jahrgangsbeste sind und sich manchmal fast rührend mit ihrem Land und seinen demokratischen Versprechen identifizieren: Ihnen darf man die Tür vor der Nase zuschlagen: Tut uns leid, aber über deinem Haar sieht’s anders aus, als wir das gut finden.

Den Preis der Ausschließung zahlen zunächst sie selbst. Aber auch die Gesellschaft zahlt ihn, weil sie auf Talent, Einsatz, Ideen dieser Frauen – die vielleicht ab und zu neue Ideen wären – verzichtet. Die sogenannten Sicherheitsbehörden dagegen dürfen sich freuen. Für sie, die ein Jahrzehnt lang die Morde des Terrornetzes NSU übersahen, sind die Kopftuchgesetze ein Konjunkturprogramm. Je mehr Musliminnen aus dem großen Arbeitsmarkt in kleine ethnisch-religiös geprägte Märkte gedrängt werden, desto größer das Feld, das sich als „Parallelgesellschaft“ etikettieren, überwachen und als Gefahr dämonisieren lässt. Gut, dass ein paar Köpfe in den Behörden inzwischen umdenken.

Fereshta Ludin zum Beispiel, die Frau, die das Urteil von 2003 erkämpfte, arbeitet seit ihrer Ablehnung in Stuttgart an einer muslimischen Schule in Berlin. Das wäre nicht schlimm; es gibt andere, teils berühmte konfessionelle Schulen, im Südwesten wie in Berlin. Aber auch für Schulen gilt das bittere Aperçu des CDU-Politikers und Katholiken Armin Laschet: „Ein Seniorennachmittag im Gemeindezentrum der Kirche ist Ehrenamt, in der Moschee ist er Parallelgesellschaft.“

Zehn Jahre nach dem Kopftuchurteil könnte die Lehrerin Fereshta Ludin ihrem Land das Zeugnis präsentieren: Setzen, Sechs. Dreht eine Ehrenrunde, vielleicht macht die euch schlauer. Aber dazu sind Frauen wie sie viel zu wohlerzogen. Und wohl auch zu klug.

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