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Meinung: Zellen für die Zukunft

Warum Europa die Forschung an Stammzellen fördern sollte

Deutschland war einmal das Land des Neuen. Aber wenn es in den letzten Jahren bei uns um Gene, Stammzellen oder ums Klonen geht, dann sind es nicht die Modernisierer, sondern die Bedenkenträger, die die Diskussion bestimmen. Beispiel Nummer eins: Die Pflanzen-Biotechnik. Mit immer neuen gesetzlichen Auflagen und Hindernissen hat die Bundesrepublik die grüne Gentechnik blockiert und eine restriktive Gesetzgebung auf EU-Ebene durchgesetzt.

Beispiel Nummer zwei: das Klonen. Die Bundesregierung will ein weltweites absolutes Klonverbot durchsetzen. Dabei ist unstrittig, dass das reproduktive Klonen, also das „Menschenkopieren“, verboten gehört. Aber über das therapeutische Klonen, das Züchten von Zellen für medizinische Zwecke, gehen die Meinungen auseinander. Ein totales Verbot ist deshalb in weiter Ferne.

Beispiel Nummer drei: Stammzellen. Im Februar 2002 einigte sich der Bundestag auf eine strenge Regelung für die Forschung an embryonalen Stammzellen. Erlaubt wurde nur die Einfuhr von Stammzellen aus Zellkulturen, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt worden waren. Jetzt soll die deutsche Rechtsformel auch für die EU gelten – jedenfalls, wenn es um die gemeinsame Forschungsförderung geht. Stichtag für die Stammzellgewinnung soll der 3. Dezember sein. Denn heute wollen die EU-Minister über die Forschungsförderung entscheiden.

Deutschland steht mit seiner Meinung gegen die führenden europäischen Forschungsnationen, allen voran Länder wie Großbritannien oder Schweden, Nationen mit liberaler Tradition. Und immer mehr Staaten der EU öffnen sich der Forschung an embryonalen Stammzellen. Schwacher Trost für die deutschen Bremser, dass Italien, Portugal, Österreich und Luxemburg auf ihrer Seite stehen.

Trotzdem kann es sein, dass unser Stammzellmodell auch in Europa Schule macht. Damit wird eine Regelung übernommen, die schon heute von gestern ist. Denn die wenigen deutschen Wissenschaftler, die sich trauen, mit embryonalen Stammzellen zu arbeiten, sind auf Gewebe angewiesen, das nicht selten verunreinigt ist und für die weitere Zukunft, etwa die medizinische Anwendung, kaum geeignet ist.

Der deutsche Stammzellkompromiss ist also kaum zukunftsweisend. Und er erschwert die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Netzwerkes der Forschung. Ein solches Netzwerk wäre aber dringend erforderlich, um im weltweiten Wettbewerb der Wissenschaft mitzuhalten.

Wenn wir uns jetzt nicht anstrengen, werden wir die Zukunft einmal mehr verschlafen – ganz so wie vor 20 Jahren, als das strenge deutsche Gentechnik-Recht Innovationen verhinderte und Firmen und Ideen ins Ausland trieb. Bis heute sind die Nachwirkungen dieser Politik spürbar. Wenn Deutschland und Europa nicht die Fehler von einst wiederholen wollen, müssen sie der Stammzellforschung mehr Möglichkeiten geben. Und zwar bald.

Auch wenn viele Patienten auf Stammzellen hoffen: Es wird noch lange dauern, bis sich die Früchte dieser Forschung ernten lassen. Vielleicht wird es gar nicht erforderlich sein, zur Behandlung von Krankheiten auf embryonale Stammzellen zurückzugreifen. Aber um die Geheimnisse der Gewebe-Entwicklung zu verstehen und damit den Weg zu neuen Therapien zu bahnen, bleiben die „Alleskönner“ unter den Zellen ein wichtiges Fundament der Forschung.

Auch wenn bei uns manche den Eindruck zu erwecken versuchen, man könne mit spezialisierten („adulten“) Gewebe-Stammzellen die gleichen Effekte erreichen wie mit embryonalen Zellen: Die Hinweise darauf sind bislang äußerst dürftig und nicht selten eher von Wunschdenken geprägt. Vielleicht profitiert am Ende das strenge Europa von jenen Ländern, in denen an Stammzellen geforscht werden durfte. Auch ein Weg in die Zukunft.

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