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Meinung: Zensur 2.0 – oder warum wir Blogger lieb haben

Man muss Blogger nicht lieben. Auch Alan Posener nicht, oder apo, wie sie ihn nennen im Web 2.

Man muss Blogger nicht lieben. Auch Alan Posener nicht, oder apo, wie sie ihn nennen im Web 2.0, jenem Konglomerat der Meinungen und Eitelkeiten im Internet. Blogs, diese Online-Tagebücher, die von Verlagsleitern und Trendforschern etwas voreilig schon als Zukunft der Medien tituliert wurden – sie sind subjektiv. Gelegentlich auch subversiv. Davon leben sie. Hinter all ihren Chiffren, die man verstehen und missverstehen kann, schimmert gelegentlich der Kohlhaas’sche Reflex des Rechthabenwollens auf. Dieser Reflex kann nerven. Ihn deshalb wegzuzensieren, ist jedoch ziemlicher Humbug.

Posener, Blogger und Kommentarchef bei der „Welt“, musste das vor ein paar Tagen erleben. Sein Beitrag über den Chefredakteur der Schwesterzeitung „Bild“, Kai Diekmann , in dem er sich über dessen 68er-Obsession lustig macht („Die 68er zwingen ihn noch heute, täglich auf der Seite 1 eine Wichsvorlage abzudrucken, und überhaupt auf fast allen Seiten die niedrigsten Instinkte der Bild-Leser zu bedienen, gleichzeitig aber scheinheilig auf der Papst-Welle mitzuschwimmen“) war schnell vom Online-Angebot der Welt verschwunden. „Unkollegial“ sei der – bei turi2.de konservierte – Beitrag gewesen, verlautete aus der Springer-Zentrale. Seitdem kommt die Szene nicht zur Ruhe – und überschlägt sich mit Solidaritätsbekundungen (etwa im lawblog ), mit Stilkritik am Vorgehen des Verlages (im Blog Indiskretion Ehrensache , der sich im Prinzip übrigens auf Seite des Springer-Konzerns stellt) bis zu blankem Hass auf Posener selbst, der sowieso nur „widerliches Zeug ablässt“ ( donalphonso ).

Man könnte das abhaken und feststellen, aus Welt 2.0, der Internet-Offensive Springers, sei nun Zensur 2.0 geworden – wenn, ja wenn nicht der für Welt.de verantwortliche Chefredakteur Christoph Keese noch ein bemerkenswertes Interview draufgesetzt hätte: „Redaktionen haben eine hierarchische Struktur, weil Jahrhunderte Erfahrung gezeigt haben, dass so die höchste Qualität entsteht“, sagte er sueddeutsche.de – und schließt daraus: „Alan Poseners Blog wird künftig wie alle Blogs eigener Redakteure vor der Veröffentlichung gegengelesen.“ Das politische Bloggen haben die „Welt“-Redakteure daraufhin offenbar eingestellt, glaubt man Björn Sievers oder Peter Turi . Stattdessen macht apo in seinem Blog jetzt – gegengelesen? – seiner Tochter eine Liebeserklärung. Dafür muss man ihn wohl doch – lieben.

Links zu den zitierten Beiträgen unter www.tagesspiegel. de/meinung

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