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Zivildienst: Was Sicherheit schafft

Mit der Wehrpflicht könnte auch der Zivildienst verschwinden. Brauchen wir dafür ein soziales Pflichtjahr für Frauen und Männer? Das debattieren wir nun wieder voller Ernst. Aber diesen Ernst ist die Sache auch wert.

Die Bundesrepublik, wenn wir von unserem Land mal wie von einem lebenden Wesen sprechen dürfen, hat schon komische Sitten. Politik und Öffentlichkeit können sich monatelang mit vergleichsweise marginalen Themen wie der personellen Besetzung eines eher zweitrangigen Gremiums beschäftigen. Aber quasi en passant reißen wir dann grundlegende Institutionen ein – wie die allgemeine Wehrpflicht. Da kommt ein forscher Verteidigungsminister, trägt vor, dass diese Dienstpflicht nicht mehr in die Zeit passe und will sie ruhen lassen. Und mit ihr auch den Zivildienst. Geht das? Brauchen wir dafür nicht einen Ersatz, vielleicht sogar eine Art Pflichtjahr für Frauen und Männer? Das debattieren wir nun wieder voller Ernst. Aber diesen Ernst ist die Sache auch wert.

Dass vor allem die jungen Männer dem suspendierten Grundwehrdienst nicht nachtrauern, wird ihnen keiner verdenken – ob die Entscheidung klug ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber der wegfallende Zivildienst trifft ein anderes Selbstverständnis, denn mit ihm verschwindet vielleicht etwas, was von fast allen Menschen in Deutschland als Dienst an der Gemeinschaft empfunden wurde, als bürgerschaftliches, zivilisatorisches Eintreten für den schwächeren Nächsten. Vor 30 Jahren hielten viele Bürger aus der Kriegsgeneration die Zivis für Drückeberger. Längst wissen wir, dass viele soziale Einrichtungen nicht ohne diese Zivildienstleistenden – im Moment sind es im Jahr 90 000 – funktionieren würden.

Nun könnte man durchaus sagen, dass der Staat dann eben die Mittel dafür bereitstellen müsse, mehr Fachkräfte in Krankenhäusern und bei der Altenbetreuung einzustellen. Der Grünen-Politiker Kai Gehring argumentiert so, auch Katja Kipping von der Linken. Tatsächlich wissen wir, dass das Geld dafür nicht vorhanden ist. Wir wissen auch, dass der bisherige Zivildienst von vielen, die ihn als Alternative zum Dienst an der Waffe ableisteten, als Gewinn empfunden worden ist. Und freiwillige Dienste, wie das Freiwillige Soziale Jahr, FSJ, oder das Freiwillige Ökologische Jahr, FÖJ, sind sogar völlig überlaufen. Für viele junge Menschen ist dieses Jahr kein Opfer, viele werden sich erst in dieser Zeit darüber klar, wohin der berufliche Weg sie überhaupt später einmal führen soll. Viele sehen diese Zeit aber als persönliche Bereicherung und empfinden die Dankbarkeit jener, denen sie helfen konnten, als prägend für das ganze Leben.

Vor diesem Hintergrund gewinnt ein oft zitierter Satz des früheren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde einen erweiterten Sinn. Er formulierte erstmals 1964: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Er meinte damit ein Ethos, das den demokratischen Staat zusammenhält, ein sittliches Rahmengefüge, das nach Böckenförde beileibe nicht nur von den Kirchen stabilisiert würde. „Auch weltanschauliche, politische oder soziale Bewegungen könnten den Gemeinsinn der Bevölkerung und die Bereitschaft fördern, nicht stets rücksichtslos nur auf den eigenen Vorteil zu schauen, vielmehr gemeinschaftsorientiert und solidarisch zu handeln“, erläuterte er Jahrzehnte später in einem Interview mit der „taz“. Ralf Dahrendorf nannte, worum es da geht, „the sense of belonging“, das Gefühl, dazuzugehören.

Vielleicht eröffnet uns diese Betrachtungsweise den Zugang zum Sinn eines neuen Zivildienstes. Wer ihn verpflichtend gestalten will, müsste vorher die gesellschaftliche Notwendigkeit belegen, so, wie die Wehrpflicht aus der Bedrohungslage nach dem Krieg abgeleitet worden war. Deutschland stünde mit einer solchen Regelung relativ allein, sie könnte für junge Leute international zum Nachteil auf dem Arbeitsmarkt werden, weil sie Zeit raubt. Wer nicht so weit gehen mag, könnte sich für die Freiwilligkeit entscheiden – die dadurch gefördert werden könnte, dass der Dienst mit einem Bonus für den Universitätszugang auch bei schlechterem Abitur oder mit einer Gutschrift auf dem Rentenkonto ausgestattet werden könnte. So könnte der Staat mit Mitteln, über die er verfügt, zur Stärkung eben jener Voraussetzungen beitragen, die er selbst nicht schaffen kann.

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