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Meinung: Zur Not ohne Programm

Die Gesundheitsministerin will im Eiltempo sparen und geht Reformen aus dem Weg

Ulla Schmidt hat verstanden. Die Ministerin sieht offenbar mittlerweile ein, dass die Krise im deutschen Gesundheitssystem durch aktives Nichthandeln immer schlimmer wird. Dass sich die Kosten durch gutes Zureden allein nicht bremsen lassen. Ulla Schmidt hat den Offenbarungseid geleistet und will nun handeln.

Niemand aber sollte das, was die Gesundheitsministerin in der kommenden Woche in Kraft setzen und im Eiltempo durch Bundestag und Bundesrat prügeln will, mit einer Reform verwechseln. Der Plan, die Krankenkassenbeiträge und die Löhne und Gehälter der Ärzte einzufrieren, die Ausgaben für Arzneimittel zu deckeln und die Versicherungspflichtgrenze auf 3825 Euro anzuheben, ist keine Gesundheitsreform, sondern eine Notverordnung, die in vielen Details in einem bizarren Kontrast zu den bisherigen Plänen des Gesundheitsministeriums steht.

Ulla Schmidt hat offenbar die Versicherten hinters Licht geführt. Zwei Jahre lang behauptete sie – wider besseres Wissen – , dass mit ein paar Chroniker-Programmen und dem Heben von „Effizienzreserven“ im Gesundheitssystem schon viel erreicht werden könne. Nun sagt sie, dass ein Gesundheitskontroll- und Bewirtschaftungssystem erst einmal die vernünftigste Lösung ist. Wohlwissend, dass auch das nicht stimmt.

Ein Notprogramm nach dem anderen und vage Versprechungen für die Zukunft sind der schlechteste Weg, um eine breite Zustimmung zu grundlegenden Reformen zu bekommen. Schönfärbereien und Schwindeleien untergraben die Glaubwürdigkeit weiter: Etwa das Versprechen, ohne Leistungskürzungen und höhere Zuzahlungen auskommen zu wollen. Das gab Ulla Schmidt gestern Morgen im Bundestag ab – und sie wurde nicht einmal rot dabei.

Das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem ist ein hohes Gut. Es zu verteidigen und für die Zukunft zu sichern, ist die Aufgabe der Gesundheitsministerin. Den Handlungskatalog für die umfassende Sicherung gibt es übrigens schon. Er wurde von dem rheinland-pfälzischen Sozialpolitiker Florian Gerster aufgeschrieben, bevor er dann Chef der Bundesanstalt für Arbeit wurde. Ulla Schmidt wird dauerhaft nicht ohne Leistungskürzungen und ohne höhere Zuzahlungen auskommen. Sie wird die kassenärztlichen Vereinigungen entmachten und die Krankenkassen zu mehr Wettbewerb zwingen müssen. Sie wird dafür sorgen müssen, dass Leistungen von Ärzten, Krankenhäusern und Labors endlich vergleichbar und bewertbar werden, damit sich die Versicherten tatsächlich frei entscheiden können.

Dazu sollten die Krankenkassen die tatsächliche Kontrollgewalt bekommen und auch wahrnehmen können. Statt schlecht geführte Krankenkassen immer stärker von den leistungsstarken Versicherungen subventionieren zu lassen, wäre es besser, die Krankenkassen für schlechtes Wirtschaften und überdimensionierte Verwaltungsapparate haften zu lassen.

Es wird nicht reichen, wenn Ulla Schmidt den Lobbyisten den Kampf ansagt. Sie muss – zum Beispiel gegen den Finanzminister – dafür kämpfen, dass versicherungsfremde Leistungen wie die Mitversicherung von Familienangehörigen nicht mehr nur von den Beitragszahlern, sondern von allen Steuerzahlern bezahlt werden. Oder sich mit Superminister Clement anlegen, wenn es wieder einmal darum geht, Lasten aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung in die privat organisierte Krankenversicherung zu verschieben. Oder die Länder-Sozialminister auf ihre Seite zwingen, wenn es um Sparprogramme bei Krankenhäusern geht.

Das wird ein harter, ein unbequemer und ungeselliger politischer Weg. Er ist es wert. Wenn am Ende ein leistungsfähiges Gesundheitssystem steht, das für die Jungen finanzierbar und den Alten zumutbar ist, wird die Akzeptanz dafür wieder wachsen. Aber dazu muss sich Ulla Schmidt erst einmal ehrlich machen. Gestern hatte sie die Chance dazu.

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