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Meinung: Zurück zum Zaun

Ariel Scharon muss die Räumung des Gazastreifens gegen alle Widerstände durchsetzen

Für Israels Ministerpräsidenten geht es um alles oder nichts. Drei Vorhaben muss Ariel Scharon umsetzen, will er an der Macht bleiben: Er muss den Sperrwall fertig bauen, den Gazastreifen räumen und die Regierungskoalition unter Einbeziehung der Arbeitspartei stabilisieren.

Der Sperrwall zum Westjordanland mag weltweit auf Kritik stoßen, Sanktionen hat Israel nicht zu befürchten. Dort wo er bereits steht – auf einer Länge von rund 200 Kilometern – ist die Zahl der Terroranschläge und der Opfer dramatisch gesunken, das Gefühl der persönlichen Sicherheit jedes einzelnen Bürgers ist dementsprechend gestiegen. Scharon muss deshalb dieses gewaltige Werk abschließen (unter Berücksichtung der vom Obersten Gericht in Jerusalem geforderten Korrekturen am Verlauf). Andernfalls zieht er sich den Unmut der eigenen Bevölkerung zu. Sie würde ihn gar in die Wüste schicken, wenn es wegen des fehlenden Sperrwalls zu einem weiteren Massaker käme.

Die 90 Kilometer lange Menschenkette, die mehr als 100 000 Rückzugsgegner am Wochenende vom Gazastreifen bis nach Jerusalem bildeten, war zwar eindrucksvoll, wird aber politisch folgenlos bleiben. Dort demonstrierten praktisch nur Religiöse, fast ausschließlich Siedler und vor allem Jugendliche und Kinder – die für Scharons Likud-Partei ohnehin verlorene Wähler beim nächsten Urnengang sind. Scharon hat sich längst zu weit aus dem Fenster gelehnt: Er kann nicht mehr zurück, ohne sich selbst zu demontieren und jede Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Der Loslösungsplan hat Scharon in Israel einerseits zum Todfeind der Siedler gemacht – das darf man wörtlich nehmen, wie Geheimdienstchef Avi Dichter vor kurzem bekannt gab. Andererseits hat Scharons Plan die Regierung gesprengt und ihn seine parlamentarische Mehrheit verlieren lassen.

Auf internationaler Ebene ist Scharon schon fast zur „persona non grata“ geworden – in Frankreich sogar letzte Woche ganz offiziell nach seiner Auswanderungsempfehlung an die dortigen Juden. Vorgeworfen werden ihm der Sperrwall, die harsche Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten und die nach allgemeiner Meinung klaren Verstöße gegen internationales Recht und gegen die Menschenrechte.

So bleibt Scharon kein Spielraum: Will er seine und damit Israels Position verbessern, muss er seinen Loslösungsplan allen internen Widerständen zum Trotz vollständig umsetzen, je schneller desto besser. Und dafür muss er die parlamentarische Basis seiner Regierung erweitern.

Gegen die von Scharon angepeilte Machtbeteiligung der Arbeitspartei wehren sich logischerweise die offenen und heimlichen Rückzugsgegner unter Führung von Außenminister Silvan Schalom, der derzeit immerhin fast die Hälfte der Fraktion und rund ein Drittel des Zentralkomitees der Likudpartei hinter sich weiß. Doch gerade weil der nationalistische Flügel in Partei und Fraktion so groß ist, muss Scharon außerhalb des eigenen politischen Lagers Verbündete suchen. Die Arbeitspartei fordert ultimativ den Sperrwallbau, den Rückzug aus dem Gazastreifen und die Räumung der dortigen Siedlungen als erste Stufe eines letztlich auch das Westjordanland umfassenden Loslösungsplans.

Scharon kann mit diesen Forderungen nicht nur leben, er stimmt ihnen grundsätzlich zu, kann dies aber aus taktischen Gründen nicht offen zugeben und spielt deshalb in bekannter Manier gegenwärtige und potenzielle Partner, Freund und Feind gegeneinander aus. Er wird ihnen, wenn die Gegner nicht klein beigeben, mit seiner stärksten Waffe drohen: der Auflösung der Knesset und vorzeitigen Neuwahlen. Bei denen ist ihm ein neuerlicher Sieg ebenso garantiert wie die Abwahl vieler seiner Gegner.

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