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Meinung: Zuwanderungsgesetz: Es gibt kein Zurück mehr

Im Vorwahlkampf sind Kompromisse besonders dann schwierig, wenn alle einer Meinung sind, sich dabei aber nicht erwischen lassen wollen. Bei der Zuwanderung haben sich alle Parteien in den letzten Jahren so weit angenähert, dass jederzeit ein gutes Gesetz mit breiter Zustimmung verabschiedet werden könnte.

Im Vorwahlkampf sind Kompromisse besonders dann schwierig, wenn alle einer Meinung sind, sich dabei aber nicht erwischen lassen wollen. Bei der Zuwanderung haben sich alle Parteien in den letzten Jahren so weit angenähert, dass jederzeit ein gutes Gesetz mit breiter Zustimmung verabschiedet werden könnte. Jederzeit heißt: sehr rasch.

Längst geht es nicht mehr um Positionen, sondern nur noch ums Posieren. Die Grünen bedienen mit ihren Wendungen ein romantisches Milieu, das noch ein paar Multi-Kulti-Illusionen hegt. Und die Union weigert sich noch ein wenig, um die Ängstlichen und die Angstbeißer unter ihren Wählern zu beruhigen.

In Wahrheit haben alle Parteien einen rapiden Desillusionierungsprozess hinter sich. In Deutschland haben sich die Parteien bei der Einwanderung jahrzehntelang etwas vorgemacht. Zunächst hat man gedacht, die Einwanderer wären nur zu Gast und gingen irgendwann wieder. Integration war also nicht nötig. Dann hat man gemerkt, dass sie bleiben, war jedoch der Meinung, dass sie sich schon von selbst einleben; und wenn nicht, dann bleiben sie halt unter sich, was auch nichts macht, solange sie die Abläufe nicht stören und nicht schmutzen. Schließlich verbreitete sich die Überzeugung, das Fremde an den Fremden werde sich von Generation zu Generation schon auswachsen. Wieder falsch: In der zweiten Generation der Türken wollten viele bleiben, aber auch ganz anders bleiben, nämlich hier und draußen.

Die Deutschen waren sich bis in die späten 90er Jahre immer noch nicht bewusst, dass Integration für Zuwanderer und Einheimische eine enorme kulturelle und finanzielle Anstrengung bedeutet. Das Bewusstsein für diese Aufgabe war nicht zuletzt deshalb unterentwickelt, weil allerlei Illusionen über das Allheilmittel Zuwanderung in Umlauf gesetzt wurden. Von den Grünen, die lange meinten, Zuwanderung könne die schrecklichen Deutschen nur besser machen und sei eine Wohltat für die feinschmeckenden Bürger, eine gerechte Strafe aber für die, die es anders empfinden. Von FDP-Politikern, die derweil den Eindruck erweckten, dass der Mangel an Kindern durch Einwanderung ausgeglichen werden könnte. Wobei das womöglich eine noch unsinnigere Idee war: Denn wer sich die Kosten für die Kindererziehung spart, der muss im Gegenzug umso mehr für Kosten für die Integration aufbringen.

Außerdem verlieren in einer Gesellschaft, die Gründe hat, wenig Kinder zu bekommen, früher oder später auch die Einwanderer die Lust dazu. Als bequeme Ausrede diente vielen sogar des Kanzlers Green-Card-Aktion. Es entstand der Eindruck, die eigenen Bildungsdefizite durch indische Zuwanderer überbrücken zu können. Pisa hat uns klüger gemacht.

Zuwanderung kann hausgemachte Mängel an Nachwuchs oder Qualifikation kaum ausgleichen. Sie ist ohne vervielfachte Integrationsleistung von beiden Seiten, ohne mehr Geld und viel Geduld sogar riskant. Und sie lässt sich nicht auf weniger als 300 000 Menschen pro Jahr verringern, egal welche Regierung sich egal welches Gesetz ausdenkt. Viel weniger kann keiner, viel mehr will keiner. Zuwanderung hilft, kurzum, nur begrenzt, sie ist aufwändig und ganz und gar unvermeidlich.

Derart ernüchtert sollten die regierenden und die im Bundesrat mitregierenden Politiker einen Kompromiss finden, von dem die Union sagen kann, er begrenze die Zuwanderung und die Grünen behaupten dürfen, er ermögliche sie. Und auch die humanitäre Seite wird in dem vorliegenden Kompromiss leidlich berücksichtigt, was die Christen unter den Christdemokraten am meisten erleichtern dürfte. Wenn sich das Zuwanderungsgesetz allerdings weiter verzögert, rutscht es in den Wahlkampf. Dann wird darüber gestritten, obwohl es im Kern nur noch wenig zu streiten gibt. Also würde übertrieben werden, einige Leute würden einigen Unsinn reden, manche sogar gefährlichen Unsinn. Vor allem aber würde dann die Hauptaufgabe weiter in den Hintergrund gedrängt: die Integration.

Eine Gesellschaft kann fast jedes Problem lösen, das sich ihr stellt. Nur muss ihr irgendjemand sagen, dass es sich stellt. Am besten die Politik, am besten bald. Und die Union muss springen. Einen ganzen Millimeter weit.

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