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Meinung: Zwei Tode und zwei Fragen

Was uns die Trauer über die iranischen Zwillinge lehrt

Im Leben vereint, im Tode getrennt: Es gibt Bilder, die einen so schnell nicht wieder loslassen. Zum Beispiel jenes Bild von den zwei Särgen, in denen nun die Leichname jener beiden siamesisch verwachsenen iranischen Frauen lagen, die im Leben zu trennen den Ärzten am Beginn dieser Woche nicht gelungen war. Weshalb berührt uns ihr Leben, ihr Tod so stark?

Die Lage, in der sich die beiden Frauen ihr Leben lang befanden, ist doch so extrem weit von unserer eigenen Situation entfernt, dass sie uns eigentlich gar nicht mehr angehen kann. Wenn man einmal alles beiseite lässt, was eine solche Geschichte mit einschließt (auch die morbide Lust am Absonderlichen), dann bleibt die Fähigkeit des Menschen immer aufs Neue staunenswert, sich in die Lage ganz entfernt anderer teilnehmend hineinzuversetzen.

Das Staunen schließt aber eine Gegenfrage ein: Warum wird diese Empathie, die Einfühlung im Extremfall so stark und nur so selten im Normalfall aktiviert? Dann nennt man das Solidarität – und Solidarität im Normalen berührt unsere Gefühle in den meisten Fällen nicht sehr tief.

Die Lage, in der sich diese beiden Frauen befanden, war so extrem weit von unserer eigenen Lage entfernt, dass es sich verbietet, aus dieser Normallage ihre Entscheidung zu beurteilen. Aber zwei ganz gegensätzliche Fragen steigen auf: Kennen wir noch so etwas wie ein Schicksal, dem gegenüber nichts anderes bleibt als eben die Hinnahme des Geschicks. Kennen wir noch so etwas wie eine Schicksalsergebenheit? Was ja die Einsicht und die Möglichkeit voraussetzen würde, dass unsere Existenz letztlich etwas ganz anderes ist, als das, was wir daraus machen - im Guten wie im Schlechten. Aus dieser Einsicht darf wahrlich nicht der falsche Sermon werden – schon gar nicht an die Adresse der anderen gewandt: Lass alles bleiben, wie es ist. Wenn man miterlebt, welch extremes Wagnis die beiden Schwestern eingegangen sind, um ihre extremen Schicksale zu wenden, dann löst das auf der anderen Seite auch das Gefühl von Kleinmut aus. Warum wird oft so weniges dort unternommen, wo es nur eines geringen Einsatzes bedürfte, um vieles zu ändern? Der Tod der iranischen Zwillinge macht uns traurig, weil wir diese Fragen nicht beantworten können.

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