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Meinung: Zweieiige Zwillinge

Polen und Deutschland sind politisch in einer ähnlichen Situation Von Adam Krzeminski

Deutsche und Polen sind politisch stärker miteinander verschwägert, als es den meisten lieb oder gar bewusst ist. Der innenpolitische Erdrutsch vollzieht sich hier wie da in Etappen, die Deutschen warten auf Dresden, die Polen auf die Präsidentschaftswahlen eine Woche später. Doch die großen Koalitionen, die hüben und drüben – bisweilen von verbalen Exzessen begleitet – entstehen, werden am Ende gleichermaßen Neuanfang mit Kontinuität verbinden.

In beiden Ländern spielten die Medien beim Machtwechsel eine herausragende Rolle. Der mediale Wahlkampf hatte auch eine populistische Kostümierung der Politiker zur Folge. In beiden Ländern denunzierten die führenden Matadore ihre Wunschkoalitionäre als neoliberale Blutsauger. Die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) der Gebrüder Kaczynski war zwar seit Monaten auf eine Koalition mit der „Bürgerplattform“ (PO) festgelegt, doch das hinderte sie nicht, in einem perfiden Werbespot die PO als eine Partei darzustellen, die mit ihrem neoliberalen Programm Kindern das Spielzeug entreißen und biederen Familien die Kühlschränke leer fegen werde. Und wenn Gerhard Schröder insgeheim die CDU als Wunschpartner vorschwebte, dann ist nicht ganz einleuchtend, weshalb er – entgegen der Logik seiner Agenda 2010 – auf den „Professor aus Heidelberg“ eindrosch, als wäre dieser der Leibhaftige des deutschen Neoliberalismus.

Nun sitzt die SPD mit der CDU an einem Tisch und brütet über die Rosskur, die dem Land zu verpassen ist, während die Sozialbewegten in beiden Volksparteien gegen den „Virus des Neoliberalismus“ (Norbert Blüm) rumoren. Wortwörtlich dasselbe wirft die PiS der PO vor, während sie zugleich zu verstehen gibt, dass sie zwar gegen die Flat Tax sei, aber für ganz so hohe Steuern vielleicht doch nicht.

Auch der stickige Provinzialismus eines Wahlkampfes, der sich fast ausschließlich auf die Innenpolitik konzentrierte, und die pausbäckige Unbeholfenheit in der Außen- und Europapolitik sind in beiden Ländern durchaus vergleichbar. Der Präsidentschaftskandidat der PiS, Lech Kaczynski, brüstete sich damit, keine Kontakte zu deutschen Politikern zu pflegen, der deutsche Bundeskanzler wiederum watscht den polnischen Staatspräsidenten ab, weil der eine europäische und keine nationale Energiepolitik gegenüber Russland anmahnte.

Im Dunst nationaler Aspirationen verschwand Europa völlig in beiden Wahlkämpfen. Nun befinden sich beide Länder in einer Umbruchphase. Beiden fällt es schwer, sich zukunftsorientiert zu geben. Beide Volkswirtschaften machen langwierige und schmerzliche Sozialreformen durch, die tief in die tradierten ökonomischen und politischen Kulturen eingreifen. Sind wir also doch zweieiige Zwillinge?

Im jeweiligen Nachbarland riefen die beiden Parlamentswahlen Unverständnis und Verunsicherung hervor. Doch von einer „polnischen Katastrophe“ („taz“) zu reden ist genauso verkehrt, wie den Deutschen „Mutlosigkeit“ und „Reformunfähigkeit“ bescheinigen zu wollen.

Paradoxerweise bieten diese beiden großen Koalitionen sogar eine gute Chance, gerade die deutsch- polnischen Beziehungen in eine neu formulierte Interessengemeinschaft zu führen. Die erste Phase wird sicher chaotisch werden. Doch das Schlimmste haben wir wohl hinter uns. Der zermürbende, zwei Jahre lang geführte Wahlkampf in Polen wurde auch über die Außenpolitik geführt. Nun wird die neue national-liberale Regierung in Polen sicherlich das Porzellan kitten wollen, das ihre Politiker im Wahlkampf zerschlagen haben. Für die deutsche Politik gilt das ebenso. Kein hoffnungsloser Anfang also.

Der Autor ist Deutschlandexperte der polnischen Wochenzeitung „Polityka“.

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