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Barbara John war von 1981 bis 2003 Ausländerbeauftragte des Berliner Senats.

© TSP

Zwischenruf: Klarsichtbrille hilft gegen Islam-Angst

In Deutschland geht das I-Gespenst um. Bei Allah, ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass es "den Islam" gar nicht gibt? Ein Zwischenruf zur Kulturkampfstimmung im Land.

Ein Gespenst geht um in Deutschland: der Islam. In allen Blättern, auf allen Kanälen wird kontrovers diskutiert, wie viel und welchen Islam Deutschland erlauben sollte. Kulturkampfstimmung macht sich breit. Eine wachsende Zahl bangender, oft aggressiver Stimmen möchte diesen Religionsimport wieder exportieren. Andere wollen den Islam nur akzeptieren, wenn er sich radikal reformiert. Nur, wie modernisiert sich eine weltweit verbreitete Religion mit circa 1,3 Milliarden Gläubigen, die keine Hierarchien kennt? Auf Befehl von Nichtmuslimen? Durch staatliche Gesetzgebung? Auf Anordnung von islamischen Gelehrten? Wer aber ist die oberste Autorität, die von allen anerkannt wird? Und was soll inhaltlich entfernt, was beibehalten werden?

Bei Allah, ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass es „den Islam“ gar nicht gibt. Was wir im Kopf haben, ist eine selbstgestrickte Verallgemeinerung aus allem, was wir hören und zu wissen glauben. Wer also die einheitliche Reform „des Islam“ erwartet, möglichst in allen 57 islamischen Staaten, kann lange warten. Wenn wir aber statt auf „den Islam“ zu starren, auf die Muslime schauten, würden uns viele Reformen ins Auge springen. Die Reformer sind schon lange unter uns. Es sind die hiesigen Gläubigen; sie bestimmen selbst, was der Islam für sie in einer freiheitlichen Demokratie bedeutet. Ihr Maßstab ist nicht Kairo, Kabul oder Tunis, sondern Deutschland. Beispielsweise gibt es hier Minarette, aber keine öffentlichen Gebetsrufe; Predigten auf Deutsch; Eheschließungen mit Nichtmuslimen; junge gläubige Frauen und Männer, die Studium, Berufs- und Partnerwahl gegen die Familie durchsetzen, die den Koran in der deutschen Übersetzung lesen, die die bürgerlichen Freiheiten verteidigen und den Gottesstaat ablehnen, die ihr Leben nicht eingeklemmt zwischen „halal“ (erlaubt) und „haram“ (verboten) verbringen wollen.

Keine islamische Autorität hat ihnen diese Arrangements vorgeschrieben. Sie haben selbst entschieden. Und während sie sich schon auf das Gewusel an konkurrierenden Weltanschauungen einstellen, bezichtigen wir sie hartnäckig weiter, jede Reform zu verweigern.

Wenn im nächsten Jahr die „Junge Islam Konferenz“, organisiert von der Humboldt-Universität mit der Mercator-Stiftung, tagt, wird deutlicher werden, wie reformorientiert die zweite und dritte Generation der Muslime schon ist. Was wirksam gegen die Furcht vor dem I-Gespenst hilft, ist also eine Klarsichtbrille statt der Scheuklappen.

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