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Zwischenruf: Politik muss sich auf den Bürgerwillen einlassen

Barbara John über einen Glücksfall für die Stadt, in der Armut und soziale Isolation zunehmen.

Pro Reli hat die Abstimmung nicht gewonnen, aber die Initiatoren haben Berlin einen intellektuellen Ruck verpasst, der die Stadt weiterbewegen wird. Nie zuvor seit der Maueröffnung debattierten, stritten, kämpften die Stadtbewohner aufmerksamer und gründlicher um inhaltlich hochkomplexe Knackpunkte. Es ging unter anderem um Wahlfreiheit, um den Platz von Religionen in der säkularen Gesellschaft, um den Umgang mit wachsender religiöser Vielfalt und um das Verhältnis zwischen Staat und Religion. Da waren zwangsläufig Interessenkonflikte vorgezeichnet. Viele hätten gern gesehen, dass islamischer Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung erteilt wird, dennoch stimmten sie mit Nein, also gegen Pro Reli. Zur Abstimmung gestellt war allerdings nicht die Fülle offener Fragen, sondern nur eine: Soll der schulische Religionsunterricht dem Fach Ethik gleichgestellt oder untergeordnet sein?

Nun bleibt alles bleibt beim Alten. Aber der Volksentscheid selbst war ein Zeichen, wie viel schon anders geworden ist: Nie war die Stadt kulturell und religiös vielfältiger, nie internationaler, nie waren die Berliner mit Bürgersinn bereiter, als Partner der Politik und der staatlichen Institutionen das Alltagsleben in Berlin mitzugestalten. Freie Schulen und Stiftungen werden gegründet, ehrenamtliche Dienste werden geleistet, hunderttausendfach, gerade auch für Integrationsprojekte, zum Beispiel mit den Lesepaten, Eltern gründen Schulvereine, spenden Geld, legen selbst Hand an, um marode Gebäude ansehnlich zu machen. Auch der Volksentscheid, Religion als Pflichtfach neben Ethik zu etablieren, ging von vielen Eltern aus und wurde dann von den Kirchen unterstützt. In Berlin formiert sich eine selbstbewusste Bürgergesellschaft, die Verantwortung übernehmen und mitgestalten will, nicht als neue politische Partei, sondern als überparteiliche soziale Bewegung. Ein Glücksfall für die Stadt, in der Armut und soziale Isolation zunehmen.

Da mutet es hasenfüßig und beißwütig zugleich an, wenn der Senat in dieser Bewegung einen Konkurrenten sieht gegen den man sich mit Anzeigen zur Wehr setzen muss. Die Hauptstadtbewohner brauchen keinen „Big Brother“. Sie fechten ihre Angelegenheiten untereinander schon selbst aus, wie es sich im Fall Pro Reli ja gezeigt hat.

Was die erstarkende Zivilgesellschaft dagegen braucht, ist das aufrichtige Interesse der Politik, sich neugierig auf den Bürgerwillen einzulassen.

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