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Gefangene in Guantánamo 2002

© dpa

Zwölf Jahre "Krieg gegen den Terror": Die Demokratie verteidigt und den Rechtsstaat zerstört

Geheimgefängnisse, Folter, Terroristenhatz ohne Beweise: Der "Krieg gegen den Terror" hat Territorium verwüstet, das er angeblich verteidigte. Und er ist nicht zu Ende. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Eine schaurige, aber vielleicht eine der schönsten Kurzgeschichten der amerikanischen Literatur hat 1891 Ambrose Bierce geschrieben. In „An Occurrence at Owl Creek Bridge“, einer Geschichte aus dem Bürgerkrieg, denkt ein Südstaaten-Pflanzer, glühender Anhänger der Konföderierten, über den Krieg nach. Es sind wenige Minuten bis zu seiner Hinrichtung. Aber selbst in diesem Augenblick ist er sich noch sicher, dass von der Redewendung, im Krieg und in der Liebe sei alles erlaubt, doch „zumindest ein Teil“ stimme.

Die Wirklichkeit gibt ihm bis heute recht. Während die Liebe weltweit als eher überreguliert gelten darf, über Scheidungsgesetze, Eheverbote, Homophobie in (Gesetzes-)Wort und Tat, ist der Krieg ein weitgehend regelloses Feld. Oder besser: Die vielen Versuche, ihn einzuhegen, ihm Regeln zu geben, erweisen sich immer wieder als praktisch folgenlos. Davon zeugen aktuell die Kriege in Syrien und im Gazastreifen ebenso wie die Kriege, die schwerer fassbaren Feinden erklärt werden, „den Drogen“ oder „dem Terror“.

Kein Friede in Sicht, nicht einmal Waffenstillstand

Gerade erinnerten zwei Nachrichten daran, dass auch unser Teil der Welt noch immer in einem dieser Kriege steckt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Polen zum Schadenersatz an zwei arabische Guantánamo-Gefangene, die ab 2002 in CIA-Haft auf einem polnischen Militärstützpunkt gefoltert wurden. Wenigstens späte Sühne, könnte man meinen. Wäre da nicht die andere Nachricht, die zeigt, dass der „Krieg gegen den Terror“ nicht einmal einen Waffenstillstand kennt, vom Frieden ganz zu schweigen: „The Intercept“, die von Glenn Greenwald, dem Enthüller der Snowden-Papiere, gegründete Plattform, zitierte vergangene Woche aus einem Handbuch des US-Zentrums für Terrorabwehr. Nach dessen Leitlinien zur Überwachung mutmaßlicher Terroristen von 2013 genügt ein bloßer Verdacht, um als potenzieller Terrorist zu gelten und damit ausgespäht, in entsprechende Dateien aufgenommen oder von Flügen ausgesperrt zu werden. Konkrete Fakten, klare Beweise sind ausdrücklich nicht nötig.

Dass schlichtes Misstrauen für Betroffene auch tödlich werden kann, wurde vor zwei Jahren durch Berichte über jene Dienstagsrunden im Weißen Haus bekannt, bei denen Präsident Obama „signature strikes“ anordnete, Drohnenangriffe selbst auf Gruppen von Menschen, von denen nichts weiter bekannt ist, als dass sie junge Männer sind – also kriegsfähig – oder dass sie einen Lieferwagen mit etwas beladen – vielleicht mit Sprengstoff.

Meilensteine des Rechtsstaats - zermahlen

Im Krieg sind alle Mittel erlaubt, notfalls auch die Verwüstung jenes gemeinsamen Grundes, zu dessen Verteidigung man ihn angeblich führt: Rechtsstaat und Demokratie. Der Habeas Corpus Act von 1629 gilt bis heute als einer der Meilensteine zum Rechtsstaat; er verbot dem englischen König, Untertanen ohne Wissen eines Richters länger als drei Tage einzukerkern oder, um sie diesem Gesetz zu entziehen, außer Landes zu bringen. In den Geheimgefängnissen der CIA und auf Guantánamo geschah und geschieht genau dies und nicht etwa mehr als drei Tage, sondern bereits seit unglaublichen zwölf Jahren.

Das Folterverbot, das keine Schönwetterveranstaltung von Wohlgesonnenen ist, sondern eine notwendige Bedingung von Zivilisation, gilt nicht nur praktisch nicht mehr, sondern wurde von den politischen Eliten im Westen, nicht nur der USA, auch der Theorie nach zermahlen: Folterverbot gut und schön, aber wenn wir es mit einem schrecklichen Feind zu tun haben, wenn wir wichtige Informationen nur erfoltern können, um unschuldiges Leben zu retten? Was dann?

Wenn Demokratien Krieg erklären

Die Antwort hätte lauten müssen, dass die Folter nicht Wahrheit ans Tageslicht bringt, sondern all das, was die Folterer von den Ärmsten hören wollen, die sie erdulden müssen. Doch auf höchster Ebene sprach keiner das Selbstverständliche – und schon zu Zeiten des Hexenwahns Erkannte – aus. Jedenfalls nicht laut. Der Krieg gegen den Terror hat uns der Mentalität jenes Wahnsinns wieder gefährlich nahe gebracht.

Historische Rückfälle sind nicht ungewöhnlich, Geschichte entwickelt sich nicht nur nach vorn. Erstaunlicher schon, dass es so viel – planvolle? – Vergesslichkeit in Zeiten des Internets gibt, der totalen Verfügbarkeit auch alten Wissens. Aufpassen heißt es also auch, wenn Demokratien den Krieg erklären. Im Krieg sind nämlich alle Mittel erlaubt. Und selbst der überzeugte Südstaatler in Bierce’ Geschichte nennt das Sprichwort „schurkisch“.

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