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Reges Treiben im "Civilipark". Jeden letzten Sonnabend im Monat treffen sich hier Bietende und Suchende in Sachen Fahrrad zum Berliner Fahrradmarkt.

© Laura Stresing

Fahrrad-Markt in Kreuzberg: Das passende Rad zum Glück

Ein gebrauchtes Fahrrad lohnt sich meist. Um das Richtige zu finden, braucht es aber Ausdauer und Verhandlungsgeschick. Unsere Autorin hat sich auf dem Berliner Fahrradmarkt umgesehen.

Marie hat ein klares Beuteschema: groß, schlank, sportlich und sympathisch. Das macht die Wahl heute aber auch nicht einfacher. Denn vor ihr stehen hunderte potenzielle Kandidaten in Reih und Glied, dicht an dicht. Es ist Fahrradflohmarkt in Kreuzberg und Marie sucht nach einem Ersatz für ihr geliebtes Rennrad. Es wurde vor wenigen Tagen gestohlen.

„Civilipark“, zu Deutsch: „Nagelpark“, so tauften die türkischen Nachbarskinder das Gelände zwischen Adalbertstraße und Mariannenplatz einst wegen seiner selbst gezimmerten Holzaufbauten. An jedem letzten Samstag im Monat gehört der Park seit neuestem aber den Fahrradschraubern.

"Fahrrad-Flicker" warten auf Kundschaft

Neben einem Bauwagen haben sie sich mit Montageständern und Werkzeugtischen in Stellung gebracht. Lukas Söhner Hernando lehnt erwartungsvoll am Zaun. Langsam kann es mal los gehen, scheint das fröhliche Gesicht hinter der runden Brille zu sagen. Ein T-Shirt weist Söhner Hernando als Mitglied der neu gegründeten „Flicken“-Initiative aus, die das Selber-Reparieren wieder in Mode bringen will und gegen eine Spende dabei hilft. Dass er gerade nichts zu tun hat, wundert den ehrenamtlichen Fahrrad-Flicker. Vielleicht liegt es am Wetter, vielleicht ist es noch zu früh. Der Andrang sei jedenfalls kein Vergleich zum ersten Fahrradmarkt, zu dem etwa 3000 Besucher gekommen sein sollen. 13 Mechaniker waren nonstop im Einsatz.

Taugt das Bike oder nicht? Gute Argumente für das Feilschen gibt es bei den Schraubern, die ebenfalls auf dem Markt ihre Dienste anbieten.
Taugt das Bike oder nicht? Gute Argumente für das Feilschen gibt es bei den Schraubern, die ebenfalls auf dem Markt ihre Dienste anbieten.

© Laura Stresing

Auch unter den Händlern hat sich die Kunde vom gut besuchten Marktplatz offenbar schnell herumgesprochen. Zum zweiten Termin reisen sie teilweise mit dutzenden Rädern an, sogar aus Holland. Einer davon ist Tim Ensing. Die Geschäfte laufen eher schleppend, gesteht er mittags. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, zappelt Ensing gut gelaunt zwischen seinen 18 Rädern herum, quatscht mit den Nachbarn, scherzt mit potenziellen Kunden und gibt sich guter Dinge. „Ich habe gehört, die Berliner kommen jetzt erst aus dem Bett“, sagt er in Geborener-Verkäufer-Manier.

Fahrräder aus privater Hand gehen schnell weg

Blaue Zettel an der Lenkerstange dienen als eine Art Prüfsiegel der Marktleitung gegen Fahrraddiebe und Abzocker. „Dieses Fahrrad ist: in Ordnung“ oder „nicht in Ordnung“ steht darauf, falls noch Reparaturen nötig sind. Dazu ein paar Zeilen zu Modell und Ausstattung, und natürlich der Preis. Die meisten Räder sind gut in Schuss, dafür haben die Händler gesorgt. Manche gewähren sogar eine Garantie.

Die wenigen gebrauchten Räder, die von Privatleuten verkauft werden, sind meist ebenso schnell wieder verschwunden wie sie auftauchen. Eine kurze Musterung, man einigt sich auf einen Preis. Dann werden ein, zwei 50-Euro-Scheine ausgetauscht. Und während der neue Besitzer das Rad in Richtung Reparaturecke schiebt, strebt der alte schon wieder in Richtung Ausgang. Das sind die Schnäppchen, auf die wohl alle heute warten und hoffen: eine Frage des Timings. Die restaurierten Schmuckstücke, wie das 50 Jahre alte Diamantrad für 250 Euro, lassen die Besucher dagegen vollkommen links liegen.

Fahrgefühl muss stimmen

Michael Ellgut will nicht viel investieren. „Ich suche was Simples“, sagt er. Ein Einsteiger-Modell, sozusagen. Schnell hat er ein Auge auf ein grünes Trekking-Rad geworfen. 160 Euro soll es kosten. Ellgut blickt daran hinab und dann sein Gegenüber über die getönten Brillengläser hinweg prüfend an. „Ich könnte jetzt nach Macken suchen und die hat es sicher. Aber es kostet ja auch keine 1000 Euro.“ Probefahren will er trotzdem. Er bleibt erstmal lange weg.

Auch Marie lässt sich Zeit mit der Auswahl und schwingt sich in viele Sattel. Aber stets kehrt sie schon nach einer kurzen Runde kopfschüttelnd zurück, die kurzen Haare vom Wind zersaust. Ein ratloses Bedauern liegt in ihrem Blick. Was sie sieht gefällt ihr. Aber das Fahrgefühl stimmt einfach nicht. Es ist nicht das gleiche wie mit ihrem alten Rad, das ein Geschenk war. „Ich kann jetzt nicht mehr zurück zu einem schlechteren Rad“, sagt die Friedrichshainerin mit dem leichten französischen Akzent. Marie deutet auf das nächste Rennrad. „Bin ich das schon gefahren?“ fragt sie den Händler. Sie hat den Überblick verloren.

Rat von den Mechanikern vor dem kauf

Der Mann, der eigentlich nach keinen Macken suchen wollte, ist inzwischen von seiner Testfahrt zurück und hat das grüne Rad auf den Kopf gestellt, um Räder und Kette zu inspizieren. Dabei kenne er sich mit Rädern gar nicht aus, gibt Ellgut zu. Am Ende wird er es kaufen. Aber vielleicht geht da beim Preis noch was. Auch wenn er weiß: „Wenn ich so ein Rad neu kaufen würde – bei meiner Gewichtsklasse – da wäre ich mit 700 Euro gut dabei.“ Ellgut holt sich Rat bei den Mechanikern in der Reparaturecke. Die sagen: Alles in Ordnung mit dem Rad. Aber zahl nur 130 Euro. Der Händler ist damit einverstanden.

Bei Tim Ensing macht sich indessen Frust breit. Der Nachmittag schreitet voran und obwohl das Interesse an seinen Rädern groß ist, hat er nur vier verkauft. Dem nächsten Kunden, der sich ein Preisschild durch die Finger gleiten lässt, ruft er zu: „Ich kann mit dem Preis auch noch etwas runter gehen.“ Hauptsache, er muss die Räder nicht wieder alle mit nach Hause nehmen. Zehn Stunden Heimfahrt warten auf ihn.

Nach und nach lichten sich die Reihen auf dem Fahrradmarkt während sich die Reparaturecke füllt. Für Marie geht es jetzt aber direkt nach Hause, auf einem weißen Rennrad mit hellblauen Applikationen. Das lange Testen und Suchen hat sich gelohnt: Ensing überließ ihr das Stück für 190 Euro. Marie strahlt über beide Ohren und tritt in die Pedale. Dieses Mal kehrt sie nicht um.

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