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Die Frauen konnten oder durften das Fahrradfahren in ihren Herkunftsländern nicht erlernen. Mit Hilfe von ehrenamtlichen Helfern lernen sie es nun auf einem Verkehrsübungsplatz in Dresden.

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Radkurse für Migrantinnen: Fahrrad bedeutet Freiheit

In ihrer Heimat ist Radfahren tabu, hier erfüllt sich für viele Migrantinnen ein Traum: In Kursen lernen die Frauen nicht nur, das Gleichgewicht zu halten, sondern auch Mut und Selbstvertrauen.

Farsana fährt ohne Hilfe Fahrrad - immerhin ein paar Meter. Dann kippt sie um und muss abspringen. Im Gesicht der 29-Jährigen aus Afghanistan macht sich dennoch ein Lächeln breit. Kämpferisch steigt die Frau, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, gleich wieder auf den Sattel. "Super", ruft Antje Großmann vom Interkulturellen Frauentreff des Dresdner Ausländerrates - und gibt wieder Starthilfe.

Der Verein hat bereits zum dritten Mal einen Fahrradkurs für Migrantinnen organisiert. Auf dem Gelände der Dresdner Verkehrswacht, wo sonst motorisierte Fahrschüler üben, drehen neun Frauen und acht Kinder aus Afghanistan, dem Irak, Äthiopien, Libyen, Syrien, Tschetschenien und Georgien täglich zwei Stunden ihre Runden. Einige von ihnen mussten aus ihrer Heimat fliehen.

"Man fühlt sich leicht und frei"

Während viele der Mädchen und Jungen schon kräftig in die Pedalen treten und Tempo machen, brauchen die Älteren noch Unterstützung. Sie haben Angst vor Stürzen. Auch die dreifache Mutter Farsana muss später verarztet werden, sie hat sich das Knie aufgeschürft. "Ich habe immer Angst davor runterzufallen", sagt sie.

Fahren mit dem Fahrrad bedeutet nicht nur Mobilität. Es ist ein Stück Freiheit, die Möglichkeit der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Fahren mit dem Fahrrad bedeutet nicht nur Mobilität. Es ist ein Stück Freiheit, die Möglichkeit der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

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Dennoch ist das Fahren auf dem Rad für sie ein Stück Freiheit. Freiheit, die sie in ihrer Heimat Afghanistan nicht hatte. Dort müssen Frauen meist im Haus bleiben, erzählt Farsana. "Es gefällt mir, auch wegen der Bewegung, man fühlt sich leicht und frei." Auch für ihre beiden Töchter Fatima und Afsana erfüllt sich mit dem Radkurs ein Traum. "Es macht total Spaß", sagt die sechsjährige Fatima.

Fahrrad bricht Tabus

Auch Achmed will endlich mit seinen Freunden cruisen können. Die ersten Meter fallen aber noch schwer.
Auch Achmed will endlich mit seinen Freunden cruisen können. Die ersten Meter fallen aber noch schwer.

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Vor allem in muslimisch geprägten Ländern ist Radfahren für Frauen meist tabu. "In einigen der Länder gehören Frauen mit Fahrrad nicht zum gesellschaftlichen Bild, es ist teilweise sogar verboten und wird nicht akzeptiert", erklärt Olga Sperling vom Interkulturellen Frauentreff. Der Fahrradkurs erfreut sich großer Beliebtheit unter den in Dresden lebenden Ausländern. "Wir haben immer mehr Interessenten als Plätze." Diesmal gab es 30 Anfragen auf die 15 Plätze. Die Warteliste ist lang.

Nach zehn Übungsstunden können die Radneulinge so sicher fahren, dass sie in den Verkehr der Großstadt entlassen werden. Ihr Übungsgerät - ein gebrauchtes Fahrrad samt Helm - dürfen sie mitnehmen. Finanziert wird der Kurs mit Hilfe von Sponsoren.

Frauen werden mobiler, nehmen am gesellschaftlichen Leben teil

Der Radkurs ist nicht das einzige Angebot für Migrantinnen. Auch spezielle Schwimmkurse organisiert der Interkulturelle Frauentreff. Männer sind tabu, die Frauen schwimmen zum Teil in Burkinis - einem langen Schwimmanzug für muslimische Frauen. Olga Sperling beobachtet bei vielen Teilnehmerinnen eine Veränderung durch die Kurse: "Die Frauen werden mobiler, selbstbewusster, nehmen mehr am gesellschaftlichen Leben teil." In Dresden leben nach Angaben der Stadt knapp 44 000 Ausländer, Tendenz steigend. Allein in diesem Jahr werden in Dresden 1340 Asylbewerber und 113 Flüchtlinge aus Syrien erwartet. "Die Frauen tauschen sich untereinander aus, die Angebote sprechen sich herum", sagt die amtierende Integrations- und Ausländerbeauftragte der Stadt, Christina Winkler. Durch die Kurse eröffneten sich neue Lebenswelten, die den Frauen bis dahin verschlossen geblieben seien.

Auch der neun Jahre alte Achmed will endlich mit seinen Freunden durch die Straßen cruisen und kämpft nicht nur mit der Angst vor einem Sturz. "Es ist schwer", sagt er nach einer weiteren Runde. "Ich falle immer um." Seine Mutter Warda hält das Rad ihres Jüngsten am Sattel, während der Junge in die Pedale tritt. Dabei hat sie auch gerade erst gelernt, ein Zweirad zu beherrschen. "Das wollte ich schon immer können", sagt sie strahlend.

Simona Block, Christiane Raatz

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