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Der Radprofi Eddy Merckx (vorn) am 17.7.1970 bei der 57. Tour de France in Bordeaux. Auf der sechsten Etappe holte sich Merckx das Gelbe Trikot zurück und verteidigte es bis zum Ziel in Paris. Er gewann mit über 12 Minuten Vorsprung auf den Zweitplatzierten, den Niederländer Joop Zoetemelk.

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Radprofi-Legende Eddy Merckx: Der Kannibale beißt auch mit 70

Eddy Merckx ist und bleibt ein Phänomen. Die meisten seiner Rekorde sind bis heute ungeschlagen. Im Juni wurde die Rad-Legende 70 Jahre alt - und ist immer noch nicht zu stoppen.

Eddy Merckx zuckt mit den Schultern. „Sehen Sie“, sagt er, „ich bin auf diesem Planeten geboren, ich bin kein Außerirdischer. Also kann es sicher mal wieder einen geben, der so viel Ehrgeiz und Disziplin hat wie ich einst.“ Mit Verlaub, daran kann man schon zweifeln. Sein letztes Radrennen ist der Belgier am 18. Mai 1978 gefahren, also vor mehr als 37 Jahren. Am 17. Juni wurde Édouard Louis Joseph Baron Merckx nun 70 Jahre alt, aber ein Radprofi, der es in puncto Siegeswillen und -hunger mit ihm aufnehmen könnte, ist immer noch nicht in Sicht. Nicht mal im Ansatz.

Der Sieg geht über alles

Eddy Merckx gewann seine Profirennen zwischen 1965 und 1978 nicht mit nüchternem Kalkül, sondern mit brutaler Energie und der Fähigkeit, sich dabei übermenschlich schinden zu können. Er fuhr immer am Anschlag. In einem großen Etappenrennen einen Vorsprung zu verwalten – man hätte ihm das nicht erklären können. Bei seiner ersten Tour de France 1969 übernahm er nach der sechsten Etappe am Ballon d’Alsace die Führung und gab sie nicht mehr her. In den Pyrenäen attackierte er im Gelben Trikot am Tourmalet und fuhr solo auf den 130 Kilometern bis ins Ziel knapp acht Minuten Vorsprung heraus. Taktisch aus heutiger Sicht völliger Unsinn, aber Merckx hatte mit Taktik nie viel am Hut. So gewann er bei seiner ersten Tour nicht nur die Gesamtwertung, sondern auch noch sieben Etappen, die Bergwertung und das Trikot für den besten Sprinter. Am Ende hatte er in Paris knapp 18 Minuten Vorsprung vor dem Franzosen Roger Pingeon. Normal reicht das für drei Toursiege. Mindestens. Danach nannte man ihn den Kannibalen.

Als 67-Jähriger wurde Eddy Merckx in einem Krankenhaus im belgischen Genk ein Herzschrittmacher eingesetzt. Die Operation ist gut verlaufen, sodass der Kannibale heute wieder ordentlich in die Pedale treten kann.
Als 67-Jähriger wurde Eddy Merckx in einem Krankenhaus im belgischen Genk ein Herzschrittmacher eingesetzt. Die Operation ist gut verlaufen, sodass der Kannibale heute wieder ordentlich in die Pedale treten kann.

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Irgendwie treffend: Merckx konnte mit seinem Programm Dauerattacke Gegner körperlich zerstören. Experten behaupteten damals, dass so mancher Profi beim Versuch das Hinterrad des Belgiers zu halten, derart über seine Grenzen gehen musste, dass dies seine Karriere um Jahre verkürzte. Merckx selbst scherte sich nicht viel um die Konkurrenz und fuhr weiter jedes Rennen als sei es sein letztes. Egal ob große Rundfahrt, Eintagesklassiker oder kleine Kriterien irgendwo in der Provinz – Eddy Merckx wollte gewinnen. Und er tat es öfter als jeder andere. Bis heute hält er zwei Tour-de-France-Rekorde: 111 Tage im Gelben Trikot und 34 Etappensiege. Sein Stundenweltrekord mit einem normalen Bahnrad 1972 in Mexiko (49,431 Kilometer) hielt unter vergleichbaren Bedingungen 30 Jahre lang.

Die Dopingvorwürfe

Eddy Merckx war oft auch extrem gegen sich selbst, zeigte Härte gegen jede Vernunft. 1975 fuhr er bei der Tour nach einem Sturz in den Pyrenäen noch 225 Kilometer blutüberströmt weiter, obwohl er nur noch eine theoretische Chance auf den Toursieg hatte. Im Ziel stellte man einen doppelten Kieferbruch fest. Eine Art Selbstkannibalismus, der ihn noch populärer machte. Das zählte jedoch wenig für ihn, wichtig war das Siegen. So war Merckx auch kein Heiliger in Sachen Doping. Drei positive Tests begleiteten seine Karriere. Der erste, auf ein Aufputschmittel beim Giro d’Italia 1969, ist bis heute umstritten. Doping damals, das waren in aller Regel Stimulanzien oder Schmerzmittel, die großen Anschieber wie Epo oder synthetische Wachstumshormone, die Drogen der Armstrong-Ära, gab es schlicht noch nicht. Das macht es natürlich nicht besser, aber die sportliche Extraklasse des Belgiers war sicher kein Laborprodukt, die damaligen Mittel taugten kaum zur Steigerung der Leistung, sie machten die Last allerdings erträglicher.

Für die neuen Generationen ist Eddy Merckx Motivation und Vorbild zugleich. Wem der mehrfache Weltmeister gratuliert, fühlt sich tief geehrt - wie hier der britische Rennfahrer Mark Cavendish vom Omega Pharma Quick Step Team nach dem Sieg der sechsten Etappe der Tour of Qatar 2013.
Für die neuen Generationen ist Eddy Merckx Motivation und Vorbild zugleich. Wem der mehrfache Weltmeister gratuliert, fühlt sich tief geehrt - wie hier der britische Rennfahrer Mark Cavendish vom Omega Pharma Quick Step Team nach dem Sieg der sechsten Etappe der Tour of Qatar 2013.

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Es war eben eine andere Zeit, auch eine voller Widersprüche. Eddy Merckx, der Asket, machte Werbung für Zigaretten, die ihm angeblich schmeckten. Unvorstellbar, dass heute ein prominenter Profi mit Kippe von einem Plakat lächeln würde. Und schon damals kurios, weil Merckx Nichtraucher war, was jeder wusste. Trotz dieser merkwürdigen Eskapaden wuchs Eddy Merckx zum Mythos. In Brüssel gibt es eine U-Bahnstation mit seinem Namen, der Mann ist auf einer Briefmarke, seit 1996 ein leibhaftiger Baron und braucht auch heute noch außerhalb seines Wohnorts Meise einen Stift, um Autogramme zu schreiben. Ein Mann, der verehrt wird, der bei großen Jedermannrennen den Mitorganisator gibt und regelmäßig bei Weltmeisterschaften als Botschafter oder Moderator auftritt, auch im kommenden September in Richmond (USA). Überall auf der Welt wird der große Merckx eingeladen und der bescheidene Eddy begrüßt. Nur einmal war das anders. Bei der WM 2007 in Stuttgart wurde der vom Radsport-Weltverband UCI zum besten Radrennfahrer des 20. Jahrhunderts gekürte Merckx wegen seiner Dopingvergangenheit von der Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann zur unerwünschten Person erklärt und ausgeladen. Das ärgert ihn bis heute.

Das Rad steht noch lange nicht still

Das Rad dreht sich für Eddy Merckx aber trotzdem weiter. So etwa 7000 Kilometer im Jahr sitzt er noch im Sattel und ist sich für keine Quälerei zu schade, auch wenn ihm nach einem Sturz 2014 immer noch das Knie schmerzt. „Aber wenn dir in meinem Alter morgens nichts wehtut, dann bist du eh tot“, sagt er lachend. 1997 fuhr Merckx mit seinem Freund und Geschäftspartner Wolfgang Renner, dem Gründer der Radmarke Centurion, als 52-Jähriger mit dem Rad durch Tibet. Renner schwärmt noch heute: „Wir wurden auf 4500 Meter Höhe jeden Tag ein bisschen schwächer, Eddy immer stärker.“

Gefeiert hat der bescheidene Belgier seinen Geburtstag am 17. Juni nicht groß. Eine Runde Rad mit seinen alten Freunden, eine Flasche Wein, das reicht ihm. Danach wird er sich wieder seiner Familie widmen, seiner Frau Claudine, mit der er seit 48 Jahren verheiratet ist, den Kindern Axel (selbst Profi von 1993 bis 2007) und Sabrina und seinen fünf Enkeln. Nebenher berät er noch die neuen Eigentümer seiner Radfirma, die er vor zwei Jahren verkauft hat. Und er wird weiter Rad fahren, im Sommer auch am Mont Ventoux, dem Giganten der Provence mit seinem 21 Kilometer langen Anstieg. Sollte jemand Eddy Merckx im Sattel begegnen – ruhig bleiben. Eine Attacke könnte seinen Ehrgeiz wecken. Auch heute noch.

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