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Mit oder ohne? Die Helmpflicht für Fahrradfahrer wird nicht zum ersten Mal diskutiert. Die Radfahr-Lobby ist dagegen.

© dpa

Streit um Helmpflicht für Radfahrer: Fahrrad-Lobby läuft Sturm

Deutschland diskutiert wieder über die Helmpflicht für Radfahrer. Ein Gericht in Schleswig-Holstein hat einer Radfahrerin ohne Helm bei einem Unfall eine Teilschuld gegeben. Das Urteil könnte Signalwirkung haben. Die Radfahrer-Lobby ist entsetzt.

Es ist ein skurriles Gerichtsurteil. Aber es könnte eines mit Folgen werden. Der 7. Zivilsenat des schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichts hat in einem Urteil vom 5. Juni dieses Jahres entschieden, dass Radfahrer ohne Helm im Falle eines Unfalls eine Mitschuld tragen. Das gelte auch dann, wenn sich der Unfallgegner verkehrswidrig verhalten habe und eigentlich die Schuld bei ihm liege.

Die Begründung für das Urteil liest sich folgendermaßen: Es gäbe zwar keine Helmpflicht, aber Radfahrer seien im täglichen Straßenverkehr einem besonderen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Es sei unzweifelhaft, dass ein Helm vor Kopfverletzungen schütze, auch sei die Anschaffung wirtschaftlich zumutbar. "Daher kann nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird."

Umkehr der Schuldfrage

Bei dem konkreten Fall, der vor dem Gericht in Schleswig-Holstein verhandelt wurde, fuhr die Klägerin mit ihrem Fahrrad ohne Helm auf der Straße an einem am Straßenrand parkenden Auto vorbei. Die Autofahrerin öffnete unmittelbar vor der Fahrradfahrerin die Tür. Die Radlerin konnte nicht mehr ausweichen und stürzte. Dabei zog sie sich eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung zu. Eigentlich ein klarer Fall, denn bisher galt für Autofahrer, die ihre Türen öffnen eine Sorgfaltspflicht. Und die wurde nicht erfüllt und somit war bisher die Schuldfrage klar. Bis die Richter in Kiel das Ganze umdrehten.

In Deutschland gibt es keine Helmpflicht für Radfahrer, aber nach dem Urteil könnte sich die gesetzliche Lage in dieser Frage deutlich zu Ungunsten der Fahrradfahrer verschieben. Denn eine automatische Mitschuld bei einem Unfall ohne Helm ist ein drastischer Wandel der Gesetzeslage.

Falsches Signal

Das bringt die Fahrradverbände auf die Palme. Bettina Cibulski vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub ist entsetzt. „Das Urteil ist natürlich zu kritisieren“, sagt die Pressesprecherin des größten Verbandes von Radfahrern in Deutschland. "Hier wird die Schuldfrage einfach umgedreht. Das können wir so nicht akzeptieren." Auch der Verkehrsclub Deutschland zeigt sich empört: "Wir denken, dass dieses Urteil ein falsches Signal an die Verkehrsteilnehmer gibt", sagt Anja Hänel vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland. "Bei dem Urteil ging es um den Schadenersatzansprüche. Jetzt reden wir über Unfallfolgen, nicht über die Verhinderung von Unfällen."

Das sieht auch Bettina Cibulski vom ADFC so. "Um solche Unfälle zu verhindern müssen Autofahrer ihren Schulterblick vor dem Aussteigen machen. Außerdem ist die Industrie in der Pflicht. Es gibt technische Systeme, die beim Öffnen der Autotür vor Radfahrern warnen können. Die müssen auch zum Einsatz kommen", sagt die Sprecherin.

Ein Viertel aller Fahrradunfälle mit Kopfverletzungen

Eine generelle Helmpflicht kommt für beide Verbände nicht in Frage. "Die Einführung einer Helmpflicht würde viele Menschen vom Radfahren abhalten und das möchten wir natürlich nicht", sagt Cibulski dazu. Der stärkere Verkehrsteilnehmer müsse Sorgen tragen, dass er die Schwächeren, in diesem Fall diejenigen auf dem Fahrrad, nicht verletzt. Auch Anja Hänel von VCD sieht in der Helmpflicht den falschen Ansatz. "Ein Helm kann bestenfalls die Unfallfolgen mindern." Um Unfälle zu verhindern fordert der Verkehrsclub Tempo 30 in der Stadt für Autos.

Tatsächlich entstehen nach Zahlen des Gesamtverbandes der deutschen Versicherer nur 25,7 Prozent aller Verletzungen am Kopf. Der größte Anteil an Verletzungen entsteht mit 36,8 Prozent an den oberen Extremitäten, also vor allem den Armen und Händen. Die unteren Extremitäten sind in 29,9 Prozent aller Fälle betroffen. Demnach würde dennoch bei einem Viertel aller Unfälle das Tragen eines Helmes die Unfallfolgen erheblich lindern.

Für die schwer verletzte Radfahrerin aus Schleswig-Holstein muss das Ganze trotzdem wie ein schlechter Traum wirken. Für ihr schweres Schädel-Hirntrauma bekommt sie nun erst mal weniger Schmerzensgeld und bleibt auf ihrem Schaden sitzen. Allerdings wird „das Urteil wahrscheinlich so keinen Bestand haben“, erwartet Anja Hänel vom VCD.  Auch der Bundesvorsitzende des ADFC, Ulrich Syberg, kündigte bereits in der „Rheinischen Post“ schon seine Unterstützung für das Unfallopfer an. "Das ist nicht in Ordnung und darf auch nicht so stehen bleiben", sagte der Rad-Lobbyist.

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