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Der pakistanische Schriftsteller Mohsin Hamid.

© Jillian Edelstein

Mohsin Hamid im Porträt: "So wirst du stinkreich in Asien"

Der pakistanische Schriftsteller und Ex-Unternehmensberater Mohsin Hamid erklärt in seinem neuen Roman, wie man im boomenden Asien reich wird. Eine Begegnung in Berlin.

Klarer Septemberhimmel über Berlin. Von der Hotelsuite aus hat Mohsin Hamid freien Blick vom Elefantengehege des Zoos, in dem graue Rundrücken zwischen Bäumen auftauchen, bis weit hinter den glitzernden Kugelbauch des Fernsehturms. Doch für ihn ist das alles nicht wirklich. Was wir als unser Ich wahrnehmen, sagt er, sei in Wahrheit nur eine biologische Maschine, die Selbstbilder produziert: „Wir glauben nur an ein Selbst.“ Deshalb will er als Autor auch „den erzählerischen Realismus brechen“.

Dazu führt er in seinem Roman „So wirst du stinkreich im boomenden Asien“ (How to Get Filthy Rich in Rising Asia) unter anderem einen fliegenden Fisch ein, der nicht aufstoßen kann. Hamid Mohsin schildert dieses absurde Phänomen so geschickt, dass die Empathie des Lesers vom traurigen Schicksal seiner Hauptfigur auf den Fisch überspringt – ein Moment der Entspannung, bevor endgültig das Taschentuch gezückt werden muss.

Und eine weitere überraschende These hat der frühere Unternehmensberater parat: Berlin und seine gut sieben Millionen Einwohner zählende Heimatstadt Lahore seien sich durchaus nicht unähnlich. Hamid plädiert klar für wild wuchernde Megapolen in den Schwellenländern: „In vielen pakistanischen Dörfern gibt es nicht einmal Strom und fließend Wasser, dafür aber mächtige Grundbesitzer, die sich jedes beliebige Mädchen nehmen können, um es zu vergewaltigen. Deshalb ist die Stadt an sich für mich etwas Positives, besonders, weil sie Minderheiten Schutzräume bietet. Und auch die Armen können sich dort wesentlich besser politisch organisieren.“

Der Umzug in die Stadt ist der erste Schritt zum Reichtum

„Zieh in die Stadt“, lautet auch der erste von zwölf Ratschlägen, die Hamids dritten Roman strukturieren: „Der Umzug in die Stadt ist der erste Schritt, um stinkreich zu werden im boomenden Asien.“ Es folgen die Empfehlungen „Verschaff dir Bildung“, „Jongliere mit Schulden“ oder „Konzentrier dich aufs Wesentliche“. Das klingt vernünftig, aber zunächst wenig literarisch. Doch Hamids Buch ist weit entfernt von den abertausend Ratgebern zur ökonomischen Selbstoptimierung. Er habe vielmehr „Selbsthilfe auch für den Autor“ im Auge gehabt, bekennt er abends bei einem heiteren Auftritt auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin.

Die Familie des Schriftstellers gehört zur pakistanischen Oberschicht. Seine Großmutter Masooda Hamid war eine berühmte Frauenrechtlerin der APWA (All Pakistan Womens Association Punjab). 1971 in Lahore geboren, kam Mohsin Hamid als Dreijähriger nach Kalifornien, wo sein Vater an der Stanford University promovierte. Als er mit neun nach Pakistan zurückkehrte, sprach er Englisch und musste die Landessprache Urdu erst wieder erlernen.

Er studierte in Princeton Internationale Beziehungen und belegte „Creative Writing“-Kurse, unter anderem bei Toni Morrison, die den ersten Entwurf zu seinem gerade neu aufgelegten Debüt „Nachtschmetterlinge“ (Moth Smoke) gegenlas. Es folgten ein zweites Studium an der Harvard Law School und lange Aufenthalte in London; mittlerweile besitzt er auch die britische Staatsbürgerschaft. Das Pendeln zwischen den Kontinenten habe ihn gelehrt, so Hamid, „auf viele verschiedene Kulturen und Perspektiven zu blicken, ohne die eine für richtig und die andere für falsch zu halten. Das führt dazu, dass man sich überall ein wenig fremd vorkommt. Und das ist für einen Schriftsteller sehr gut, denn ein Fremder beobachtet schärfer.“

Hamids zweiter Roman wurde vom Guardian geadelt

Mohsin Hamids zweiter Roman „Der Fundamentalist, der keiner sein wollte“ (The Reluctant Fundamentalist) erschien 2007. Er wurde vom britischen „Guardian“ als „Book of the Decade“ geadelt, in mehr als 25 Sprachen übersetzt und von der indischen Regisseurin Mira Nair verfilmt. In Form eines Monologs mit Krimi-Elementen, den ein Pakistaner einem mysteriös schweigenden Amerikaner hält, reflektiert Hamid Ereignisse von der Kolonialgeschichte seines Landes bis zu 9/11.

Auch in „So wirst du stinkreich im boomenden Asien“ ist ihm die Wut über die herrschenden Verhältnisse in seiner Heimat in die Feder geflossen, immer grundiert von der Frage: „Wie führe ich das richtige Leben und gehe mit dem Tod um?“ Chamäleongleich entwickelt sich der Text von einer bissig-satirischen Sozialreportage zum Bildungs- und Liebesroman, bis der allwissende Erzähler schließlich mit einem energischen Kameraschwenk gen Himmel das Geschehen ins Transzendente öffnet.

Als Bote einer Videothek beginnt der Held seine Karriere

Hamid spricht seinen anonymen Helden konsequent mit „Du“ an, auch wird der Ort der Handlung nicht genannt. Dadurch gewinnt der Roman an universeller Gültigkeit und wird – gerade für westliche Leser – von einem Exotik-Touch befreit. „Religiöse Schriften oder Liebesgedichte wenden sich häufig an ein ‚Du’“, erklärt Mohsin Hamid: „Und ich dachte mir, auf eine ungewöhnliche Weise könnte dieser Roman religiöse Aspekte mit denen eines Liebesgedichts verbinden.“ Das pakistanische Urdu kennt drei Du-Formen; das Englische, in dem Hamid schreibt, dagegen nur das eine „you“, das wiederum andere Nuancen hat als das deutsche Du – eine vertrackte Aufgabe für den Übersetzer Eike Schönfeld, der auch mit Hamids ironischem Stil zurechtkommen musste – etwa wenn das „Stinkreichwerden“ als „der in Nebel gehüllte, hochgelegene Laichteich deines inneren Lachses“ beschrieben wird. Schönfeld hat sie gemeistert.

Zu Beginn des Buches steht es um das Leben des jugendlichen Helden Spitz auf Knopf. Von einer chronischen Gelbsucht geplagt, rettet ihn ein „wie ein Rülpser“ schmeckender Rettich, den seine resolute Mutter für ihn gart. Die Landbevölkerung ist ohne Bewusstsein für ihre Lage; die harte, eintönige Arbeit lässt sie vorzeitig altern. Dieses Schicksal wird auch die ältere Schwester des Protagonisten ereilen, die nicht das Glück hat, in der Stadt bleiben zu können.

Hamid schafft eine selbstbewusste Frauengestalt

Er aber macht nach dem Umzug in die Metropole seinen Weg, ganz so, wie es ihm der Ratgeber-Autor einschärft: Der junge Mann arbeitet nachts als Bote für eine Videothek, studiert eine Zeitlang, um sich dann mit dem Verkauf von Trinkwasser in Flaschen selbständig zu machen. Er hat es illegal vom schwindenden Grundwasser abgezapft, anschließend in seiner Wohnung abgekocht und abgefüllt. Dank seiner Cleverness – und der guten Ratschläge des Autors – expandiert das Geschäft.

Allein die Warnung „Verlieb dich nicht“ kann er nicht beherzigen. Ausgerechnet der Emporkömmling vom Lande rechnet sich Chancen bei dem „hübschen Mädchen“ aus, das dem ganzen Viertel den Kopf verdreht hat: „Wie bei der Sonne hast du es immer schwierig gefunden, sie direkt anzusehen.“ Mit dieser Anonyma hat Mohsin Hamid, der Enkel der Feministin, eine hinreißend selbstbewusste Frauengestalt geschaffen. Das scheinbar alterslose „Mädchen“ macht Karriere als Model, Designerin und Fernsehköchin – und bleibt allein.

Als der große Reichtum nach Jahrzehnten der Plackerei endlich erreicht ist, hat sich der Held längst korrumpieren lassen, und es mehren sich die Zeichen des Alters. Seine Ehe mit einer militanten werdenden Frauenrechtlerin ist gescheitert, der Sohn weit weg in den USA und seine wahre Liebe nur noch eine quälende Erinnerung. Oder doch nicht? Mohsin Hamid presst ein ganzes Leben in den rasenden Stillstand des historischen Präsens. Du darfst trotzdem auf ein Happy End hoffen.

Mohsin Hamid: So wirst du stinkreich im boomenden Asien. Roman. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. DuMont, Köln 2013. 224 Seiten, 18,99 €.

Nachtschmetterlinge. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Mohr. DuMont Taschenbuch). DuMont Taschenbuch, Köln 2013. 320 Seiten, 9,99 €.

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