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Brandenburg: Mordvorwurf fallen gelassen – Hauptverdächtiger frei

Ermyas M.: Täter wird nur der Körperverletzung und Beleidigung beschuldigt Opfer kann sich möglicherweise doch an Tatvorgang erinnern

Potsdam - Der Tatverdächtige namens „Piepsi“ ist wieder draußen. Der Hauptbeschuldigte mit der hohen Stimme im Fall Ermyas M., der vor fünf Monaten am Ostersonntag den Deutsch-Äthiopier so brutal mit einem einzigen Faustschlag zusammengeschlagen haben soll, dass dieser monatelang im künstlichen Koma lag und in Lebensgefahr schwebte, ist jetzt aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Das hat am Sonntag Matthias Schöneburg, der Anwalt von Björn L., gegenüber Nachrichtenagenturen bestätigt. Demnach ist der Haftbefehl gegen den 29-Jährigen vom Potsdamer Landgericht unter Auflagen bereits vergangenen Freitag ausgesetzt worden. Die Meldeauflagen seien normal, Fluchtgefahr bestehe nicht.

Hintergrund der Freilassung von „Piepsi“ ist, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage von ihrem ursprünglichen Mordvorwurf Abstand genommen hatte. Stattdessen wird Björn L. jetzt wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung angeklagt. Das hat Auswirkungen auf das mögliche Strafmaß. Da jetzt mit einer Gesamtstrafe von unter vier Jahren Haft zu rechnen ist, sahen die Richter der 4. Strafkammer einen Haftbefehl für nicht mehr gerechtfertigt an – und folgten Schöneburgs Antrag.

In den Ermittlungen hatte sich der ursprüngliche Verdacht, dass Ermyas M. Opfer eines gezielten Mordanschlags von Rechtsextremen wurde, nicht bestätigt. Deshalb gab auch der Generalbundesanwalt – er hatte den Fall vor der Fußball-Weltmeisterschaft wegen einer Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik an sich gezogen – das Verfahren „mangels Zuständigkeit“ wieder an die Brandenburger Behörden ab. Dass Generalbundesanwalt Kai Nehm zunächst ermittelte, hatte ein internationales Medienecho und eine Debatte über „No-go-Areas“ für Schwarze in Brandenburg und Ostdeutschland ausgelöst. „Wir befinden uns jetzt wieder im normalen juristischen Fahrwasser. Und das ist gut so“, sagte Sven Oliver Milke, der Anwalt des zweiten Angeklagten, des 31-jährigen Thomas M., dem die Staatsanwaltschaft gemeinschaftliche Beleidigung und unterlassene Hilfeleistung vorwirft, gestern. Wann der Prozess gegen Björn L. alias „Piepsi“ und Thomas M. beginnt, ist offen. Schöneburg rechnet damit, dass die Verhandlung Anfang 2007 stattfindet.

Wahrscheinlich wird Ermyas M., dessen Leben nur durch eine Notoperation gerettet wurde, vorher als Zeuge aussagen müssen. Auslöser ist ein Interview, das der Potsdamer Wasserbauingenieur kürzlich dem „Stern“ gab. Es las sich aus Sicht des Gerichtes so, dass sich Ermyas M. jetzt womöglich doch wieder an die Umstände der Tatnacht erinnern kann. Danach ist Ermyas M. – anders als die Staatsanwaltschaft – nach wie vor überzeugt, dass die Tat einen rassistischen Hintergrund hatte: „Diese Leute hassen mich, weil ich farbig bin“. Ermyas M. sagte aber auch, er wolle nun nicht etwa zu einer Symbolfigur gemacht werden.

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