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Abgerissen. Die Windhose zerstörte auch den Turm der Klosterkirche. Foto: Killig/dpa

© dpa

Mühlberg: Im Ausnahmezustand

Mühlberg am brandenburgischen Teil der Elbe kämpft mit den Folgen des Tornados – und dann kam auch noch das Hochwasser.

Von Sandra Dassler

Mühlberg - Jeden Morgen geht Bürgermeisterin Hannelore Brendel zum Deich. An den ersten Tagen nach dem Tornado, der ihre Stadt Mühlberg im Süden Brandenburgs am Pfingstmontag heimsuchte, hat sie dabei nur gedacht: „Bitte, bitte – nicht auch noch Hochwasser!“ Jetzt sinkt die Elbe, und Hannelore Brendel ist ein wenig ruhiger, wenn sie vom Deich zurückkommt. Sobald sie aber das wunderschön restaurierte Rathaus von Mühlberg betritt, ist es mit der Ruhe vorbei. Die Stadt ist noch im Ausnahmezustand: Fast alle größeren Bäume hat der Tornado gefällt, 80 Prozent der Gebäude sind beschädigt, einzigartige mittelalterliche Architektur wurde zerstört. Viele Einwohner kommen, stellen Anträge, wollen reden und Unterstützung, um ihre Häuser zu reparieren. Firmen fragen an, Hilfskräfte müssen eingewiesen werden, das Telefon klingelt ununterbrochen.

Nicht, dass Hannelore Brendel eine solche Situation neu wäre. Als in Mühlberg 2002 und 2006 eine Flutkatastrophe drohte, war sie auch schon im Rathaus, wenn auch noch nicht als hauptamtliche Bürgermeisterin. Schlimm war das, erzählt sie. Vor allem 2002, als die ganze Stadt evakuiert werden musste. Aber das, was am Pfingstmontag über Mühlberg hereinbrach, war noch viel schlimmer.

Die Einwohner erzählen es sich immer wieder, die Details variieren, aber im Großen und Ganzen sind sich alle einig: Erst war der Himmel hell, dann zogen dunkle Wolken auf. Hier schwarz, dort blau, das hatte man schon gesehen. Aber dann wurde auf einmal alles gelb und plötzlich war nur noch dieses schreckliche Fauchen zu hören. Die Menschen flüchteten in die Häuser, ließen die Jalousien herunter oder schauten entsetzt auf das Inferno draußen. Bäume flogen durch die Luft, Dächer hoben ab, scharfkantige Ziegel bohrten sich in Mauern, hühnereigroße Hagelkörner durchschlugen Scheiben.

Ein paar Minuten später war alles vorbei. Das grüne Mühlberg ist jetzt eine fast baumlose Stadt, und es gibt keine Straße, in der alle Häuser unbeschädigt blieben. Der Friedhof ist ebenso verwüstet wie das Schloss oder die Schule. Auch fast zwei Wochen nach dem Wirbelsturm am 24. Mai warnen Schilder vor dem Betreten vieler Gelände, sind viele Straßen gesperrt.

Peter Stenger, Besitzer der Löwen-Apotheke, einstmals von den Eltern Theodor Fontanes betrieben, hat wie die meisten der viereinhalbtausend Mühlberger großes Glück gehabt. Der Tornado fällte die fast 200 Jahre alte Eiche auf seinem Hinterhof. Sie krachte ins Nachbarhaus, wie durch ein Wunder wurde keiner verletzt.

Mehrfach hatte Stenger in der Vergangenheit beantragt, die alte Eiche zu fällen – die untere Naturschutzbehörde Herzberg lehnte ab. Nun bedurfte es eines 250-Tonnen-Krans, um die 13,2 Tonnen schwere Wurzel aus dem Innenhof der Apotheke zu hieven. Nun hoffen alle Betroffenen, dass die Versicherungen zahlen. Aber nicht alle waren versichert.

Mindestens 20 Millionen Euro Schaden seien der Stadt entstanden, schätzt der Landrat des Kreises Elbe-Elster, Christian Jaschinski (CDU). Die Hilfsbereitschaft sei groß, sagt Bürgermeisterin Brendel: Viele Menschen melden sich, um freiwillig mit anzupacken, auch einige Hartz-IV-Empfänger sind darunter. „Aber noch sind viele Häuser und Straßen nicht gesichert, ich brauche daher vor allem Fachkräfte.“ Ein klein wenig bitter klingt ihre Stimme schon, wenn sie sagt: „Alle schauen nur an die Oder. Wir wissen ja, wie schlimm Hochwasser sein kann. Aber hier ist die Katastrophe schon eingetreten.“ Doch die Bürgermeisterin will nicht ungerecht sein. Brandenburgs Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger (SPD) war immerhin schon da, und Ministerpräsident Matthias Platzeck wird sich sicher auch noch sehen lassen.

„Die Mühlberger haben es Platzeck nicht vergessen, dass er 2002 seine ganze Erfahrung in den Ring geworfen, seine besten Leute nach Mühlberg geschickt und die Stadt so vor dem Jahrhunderthochwasser gerettet hat“, sagt Udo Pohle, Chronist der Mühlberger Schützengilde und Kenner der Stadtgeschichte.

Die begann 1230 und war schon immer reich an Feuer-, Hochwasser- und anderen Katastrophen, wie etwa der Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547, als die katholischen Reichsfürsten unter Kaiser Karl V. die protestantischen Truppen des Schmalkaldischen Bundes besiegten. „Trotzdem hatte Mühlberg auch immer Glück im Unglück“, sagt Pohle, der es wie viele Einwohner für ein Wunder hält, dass niemand verletzt oder getötet wurde. Manche schreiben das gar der Äbtissin Jutta von Ileburg zu, die im 14. Jahrhundert das Zisterzienserinnenkloster leitete, sich tapfer gegen die weltlichen Herren zur Wehr setzte und angeblich auch heute noch nachts manchmal durch die Klosterkirche spuken soll.

Ausgerechnet das ehemalige Nonnenkloster wurde vom Tornado stark beschädigt: Die Kirchturmspitze ist abgestürzt, die Außenfassade hat ebenso gelitten wie das Dach. „Ein herber Rückschlag“, sagt Pater Ansgar. Er ist einer von zwei Brüdern des Claretiner-Ordens, die vor zehn Jahren mit dem bischöflichen Auftrag, das Kloster wiederzubeleben, nach Mühlberg entsendet wurden. Auch die Denkmalschützer des Landes sind in großer Sorge.

Der Pater hofft wie die Bürgermeisterin auf Spenden, aber irgendwie ist die Katastrophe von Mühlberg im öffentlichen Bewusstsein des Landes nicht präsent. Dabei hat die kleine Stadt nur ihre Geschichte, mit der sie wuchern kann. So machen Touristen, die dem Elbe-Radweg folgen, gern hier Station. Das einzigartige Mittelaltermuseum wollte sich gerade für das Europäische Kulturerbe-Siegel bewerben, sagt Bürgermeisterin Brendel: „Aber auch hier müssen nun erst einmal die Sturmschäden beseitigt werden.“

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