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Brandenburg: Neun tote Babys: Anklage fordert lebenslange Haft

Staatsanwältin plädiert auf Mord in acht Fällen Verteidiger sieht nur Totschlag durch Unterlassen

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) - Der vorletzte Verhandlungstag im Prozess um die neun toten Babys beginnt turbulent. Andreas Roy, bundesweit als „Kirchenstörer“ bekannt, beschimpft das Landgericht als „heuchlerisch“: „Wer kümmert sich um die Tausende von Kindern, die jedes Jahr im Mutterleib getötet werden?“ Der kräftige Mann muss von Beamten aus dem Saal geführt werden. „Sabine, besorg’ dir schon mal ’ne Bibel“, ruft er der 40-jährigen Frau auf der Anklagebank noch zu.

Die nimmt es gelassen. Doch nachdem die Staatsanwältin Anette Bargenda ihr Plädoyer beendet hat, ist ihr der Schock deutlich anzusehen. Ihre Schwester im Zuschauersaal schluchzt fassungslos ins Taschentuch, ein früherer Lebensgefährte der Angeklagten sackt kurzzeitig in sich zusammen. Für viele überraschend fordert die Staatsanwältin eine lebenslange Freiheitsstrafe für Sabine H. – wegen achtfachen Mordes an ihren zwischen 1992 und 1998 geborenen Kindern.

Für die Anklagevertreterin steht fest, dass Sabine H. die Taten beging, um die jeweils vorangegangenen Tötungen von Neugeborenen zu verdecken. Deshalb müsse man auch den Fall von 1988 mit einbeziehen, der eigentlich verjährt ist. Damals hatte Sabine H. nach eigenen Angaben bei der polizeilichen Vernehmung ihr viertes Kind heimlich auf der Toilette zur Welt gebracht. Weil ihr Ehemann nach den drei 1984, 1985 und 1986 geborenen Kindern kein weiteres Baby haben wollte, verschwieg sie ihm die Schwangerschaft. Das Baby sei nach der Geburt offenbar in der Toilette ertrunken, erzählte Sabine H. dem Vernehmungsbeamten. Sie sei in Ohnmacht gefallen. Als sie erwachte, habe sie das tote Kind in ein Handtuch gewickelt und es später in einem Pflanzgefäß auf dem Balkon vergraben.

Insgesamt neun Babyleichen waren im letzten Sommer auf dem Grundstück der Eltern von Sabine H. in Brieskow-Finkenheerd gefunden worden. Sie lagen in zu Pflanz- und Blumengefäßen umfunktionierten Aquarien, Eimern und in einer Kinderbadewanne. Eines der Babys war so gut erhalten, dass es zwischenzeitlich in einer Tiefkühltruhe aufbewahrt worden sein muss, folgerte die Staatsanwältin gestern aus Aussagen von Sachverständigen.

Die Angeklagte, die im gesamten Prozess schwieg, hatte bei der polizeilichen Vernehmung zugegeben, für den Tod der Babys verantwortlich zu sein. Sie konnte sich aber nur an den verjährten Fall von 1988 und an eine Geburt in Goslar im Jahr 1992 erinnern. Da hatte sie während eines Lehrgangs in einer Pension einen Jungen zur Welt gebracht. Weil eine Kollegin dazukam, habe sie „reflexartig“ eine Decke über das wimmernde Kind geworfen.

Für ihren Verteidiger Matthias Schöneburg ist dies der einzige Fall, für den Sabine H. verurteilt werden kann. Bei den Säuglingen seien weder Todesursache noch Todeszeitpunkt nachzuweisen, sagte er gestern in seinem Plädoyer. Man habe nicht einmal feststellen können, ob die Kinder lebend zur Welt kamen. Deshalb sei Sabine H. in sieben Fällen freizusprechen. Für das Geschehen in Goslar forderte Schöneburg eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Totschlags durch Unterlassen. Der Verteidiger äußerte außerdem Zweifel daran, dass der Ehemann seiner Mandantin von den neun Schwangerschaften und Geburten nichts bemerkt haben will.

Den Antrag der Staatsanwältin bezeichnete er als unverständlich. Das Gericht habe schon die Anklage wegen Mordes nicht zugelassen und keinen rechtlichen Hinweis gegeben, wonach auch eine Verurteilung wegen Mordes in Frage käme. Da ein solcher Hinweis auch gestern unterblieb, gehen Prozessbeobachter davon aus, dass die Strafkammer momentan eher eine Verurteilung wegen Totschlags in Betracht zieht.

Die Staatsanwältin plädierte hingegen sogar auf die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Das würde bedeuten, dass Sabine H. nicht nach 15 Jahren aus der Haft entlassen werden kann. Die Anklagevertreterin sieht es als erwiesen an, dass Sabine H. die Babys „routine- ja: serienmäßig“ umbrachte. Nach der Tötung des ersten Babys befürchtete sie, ein Arzt könne die vorangegangene Geburt bemerken und nach dem Kind fragen. Deshalb habe sie sich keine Verhütungsmittel verschreiben lassen und keinen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung gezogen. Aber, sagte die Staatsanwältin, es gab ja Alternativen: Sabine H. hätte die Babys auch anonym zur Welt bringen und zur Adoption freigeben können: „Dann hätten diese neun Kinder ein Leben gehabt.“

Das Landgericht will morgen sein Urteil verkünden.

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