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Politik: ... der Tiger gesattelt wird

Nicht, dass in Deutschland keine Karrieren mehr möglich wären: Horst Köhler hat es vom Bauernbub zum Staatsoberhaupt gebracht, und das war kein Deckchensticken. In Bonn, so hört man, hüten sie das Loch, das sein im Zorn geschleuderter Briefbeschwerer einst riss, wie den Tintenklecks auf der Wartburg.

Nicht, dass in Deutschland keine Karrieren mehr möglich wären: Horst Köhler hat es vom Bauernbub zum Staatsoberhaupt gebracht, und das war kein Deckchensticken. In Bonn, so hört man, hüten sie das Loch, das sein im Zorn geschleuderter Briefbeschwerer einst riss, wie den Tintenklecks auf der Wartburg. Da kommt einer, der nach dem Frühstück Ergebnisse sehen will, und er will sie von uns. Deutsche: Das wird anstrengend. Denn soweit es sich aus den ungezählten Interviews des Kandidaten herauslesen lässt, verlangt er nicht einfach einen heftigen Ruck mit anschließender wohliger Rast im Entmüdungsbecken der sozialen Gerechtigkeit, sondern permanentes Ziehen und Zerren am Staatsgebilde, Richtung Modernisierung.

Werden wir heute, zur Amtseinführung, mehr erfahren? Die Leitlinie seines Tuns hat Horst Köhler bekanntlich schon beim Kandidieren festgelegt: Er möchte nicht nur, dass wir die Muskeln spielen lassen für Staat und Wirtschaft, sondern überdies, dass wir es mit Optimismus und guter Laune tun, immer ein Liedlein auf den Lippen. Und die Ideen nicht vergessen! Er ist eine Art Papa Heuss, aber neues Jahrhundert, eingekleidet ins Gewand eines Chief Executive Officer, der den Tiger Globalisierung nicht verzagt am Schwanz zupft, sondern entschlossen sattelt, um einer goldenen, na, sagen wir: solide verzinkten Zukunft entgegenzureiten.

Doch kann das Volk ihm dabei folgen? Es reagiert ja in seiner großen Mehrheit ungern auf fliegende Briefbeschwerer, sondern duckt sich lieber weg, möchte nett gebeten, mitgenommen, motiviert werden. Große Reden könnten dabei eher hinderlich sein, so wie bei Johannes Rau, der sie des öfteren vorgetragen hat, ohne damit weiter aufzufallen. Und kleine Reden? Köhler hat bereits angedeutet, dass er sich via TV einzumischen gedenke, wenn die Modernisierung nicht vorankommt. Am besten wäre wohl ein unmittelbares Auftrittsrecht in jeder politischen Talkshow. Er müsste dazwischengehen, wenn Michael Sommer wieder einmal über den Kanzler mault, müsste den Großindustriellen neue Arbeitsplätze in Massen abpressen und seine Unionschristen unnachsichtig aus den Schützengräben der Wahltaktik scheuchen, kurz: Er müsste stets in den Kulissen auf seinen Auftritt warten, reaktionsschnell, meinungsfreudig, und selbst die Werbepause zur politischen Botschaft nutzen. Nichts ist unmöglich – Horst Köhler!

Ja, das klingt irgendwie seltsam bekannt. Aber als Motto für den Anfang können wir es ja einfach mal ausprobieren. bm

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