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Politik: ...die Oma auf die Pauke haut

Als Archimedes in die Badewanne stieg und dabei, heureka, das Prinzip der Verdrängung entdeckte, war Forschung noch eine Sache, die jeder begreifen konnte. Heute pieken die Wissenschaftler unter dem Mikroskop in irgendwelche Embryonalzellen, und niemand versteht mehr ohne Bundestagsdebatte, was das eigentlich soll.

Als Archimedes in die Badewanne stieg und dabei, heureka, das Prinzip der Verdrängung entdeckte, war Forschung noch eine Sache, die jeder begreifen konnte. Heute pieken die Wissenschaftler unter dem Mikroskop in irgendwelche Embryonalzellen, und niemand versteht mehr ohne Bundestagsdebatte, was das eigentlich soll. Insofern begrüßen wir hier ganz ausdrücklich das Unterfangen der Sozialpsychologen Alex Haslam (Exeter) und Bertjan Doosje (Amsterdam), die sich mit einer leicht fasslichen Materie befasst haben: der Stimmvergabe beim Eurovision Song Contest.

Ihre Studie betrifft vor allem die Zeit, als noch Jurys abstimmten, deren Zusammensetzung etwa so transparent war wie jene des Politbüros des ZK der KPdSU. Alles Schiebung, klar, aber warum? Um nur irgendeinen dussligen Schlager nach oben zu hieven, den dann hinterher doch niemand kaufen wollte? Welches Motiv könnte z.B. Island leiten, einen Titel von Ralph Siegel mit zero points abzustrafen, außer dass er vermutlich einfach grottenschlecht war?

Die Forscher haben nun drei Ländergruppen identifiziert, die als Kungelrunden gelten dürfen, weil man sich dort immer wieder gegenseitig die Stimmen zugeschoben hat. Eine mit Schweden und Österreich … Nein, das wird jetzt zu kompliziert. Auffällig aber ist: Das erfolgreiche Irland ist gleich in zwei dieser Gruppen vertreten, Deutschland dagegen in keiner. Aber ob das nun Absicht war und ob die Juroren ihre Vorlieben überhaupt kannten, wissen wir immer noch nicht.

Es ist auch lange her. Denn seit die Volksmassen am Telefon selbstständig abstimmen dürfen, gibt es neue Kungelrunden etwa zwischen Skandinavien und den baltischen Staaten. Das könnte Politik sein – oder einfach nur komplette Verwirrung. Denn wo gehört eine Gruppe estnischer Musiker hin, die für die Schweiz antritt und von einem Deutschen produziert wird? Was bedeutet es, dass eine Oma mit Kopftuch für Moldawien auf die Pauke haut, bzw.: Wo zum Teufel ist überhaupt Moldawien?

Nein, Politik. Denn der erste Platz der ukrainischen Sängerin Ruslana im vergangenen Jahr war ja nach der großzügigen Vergabe von deutschen Einreisevisa in Kiew, pssst, der eigentliche Beginn der Revolution in Orange in diesem Land. Die Mächtigen haben, wie wir sehen, allen Grund, den Song Contest zu fürchten. Sollte also heute Abend Gracia für Deutschland den Sieg davontragen, dann, dann…

Dann findet der Durchgang 2006 in Deutschland statt. Und das wäre eigentlich schlimm genug. bm

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