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Politik: … sich die Herkunftsfrage stellt

Nirgendwo lässt sich die Tiefenwirkung unserer leistungsgepeitschten Gesellschaft schöner ablesen als auf jenen Fragebögen, in denen Erstklässler in Krakelschrift ihren Wunsch formulieren müssen, was denn wohl später einmal aus ihnen werden soll. Empirischen Untersuchungen zufolge sind klassische Ausbildungsberufe wie „Lokführer“ oder „Kaltmamsell“ mittlerweile ziemlich aus der Mode gekommen.

Nirgendwo lässt sich die Tiefenwirkung unserer leistungsgepeitschten Gesellschaft schöner ablesen als auf jenen Fragebögen, in denen Erstklässler in Krakelschrift ihren Wunsch formulieren müssen, was denn wohl später einmal aus ihnen werden soll. Empirischen Untersuchungen zufolge sind klassische Ausbildungsberufe wie „Lokführer“ oder „Kaltmamsell“ mittlerweile ziemlich aus der Mode gekommen. Dafür stehen seit einiger Zeit „Superstar“, „Millionär“ und „Chef“ hoch im Kurs, vereinzelt auch: Günther Jauch. Bei intellektuelleren Charakteren aus dem Industriellen-, mindestens aber aus dem Mittelstandsmilieu wird gelegentlich „Sohn“ angegeben, wahlweise auch „Tochter“. Ein gewisser Hang zur Selbstironie ist dabei allerdings Bedingung. Den hat nicht jeder.

Dass man Sieger meistens am Start erkennt, sich mit einer ordentlichen Herkunft also lebensweltlich vieles regeln lässt, ist unbestritten, andernfalls ließen sich nicht komplette Wahlkämpfe unter das Thema „Chancengerechtigkeit“ pressen.

Den Zusammenhang zwischen Herkunft und Lebensperspektive hat gerade einer erweitert, von dem man das, offen gesagt, am wenigsten erwartet hätte, nämlich Robbie Williams. Der Sänger hat sich unlängst darüber beklagt, dass es für ihn praktisch unmöglich sei, den Titel „Größter Sohn der Stadt“ zu erlangen. Williams erblickte in einem Nest namens Stoke-on-Trent das Licht der Welt, dummerweise, jedenfalls aus Williams’ Sicht, aber auch jener Kapitän, der im April 1912 seine „Titanic“ an einen Eisberg setzte.

Ein ziemlich krasser Fall von Herkunftsungerechtigkeit mithin. Ähnlich deprimierend gelagert scheint die Angelegenheit sehr wahrscheinlich nur für ehrgeizige Neugeborene, die in diesen Zeiten in Marktl am Inn zur Welt kommen, dem Geburtsort von unserem Papst, wenn man das so sagen darf. Am Papst kommt quasi keiner vorbei, nicht mal wenn er den Brasilianern im Endspiel nach 0:2-Rückstand drei Stück einschenkt – was in diesem Fall allerdings nur eine theoretische Überlegung ist, weil ja keiner unserer Nationalkicker in Marktl am Inn geboren ist. Leider.

Andererseits gilt natürlich auch ein weiterer Williams-Satz: „Wenn du einen Ansporn finden möchtest, suche dir ein berühmtes Vorbild aus deiner Heimat und versuche noch mehr zu erreichen.“ So richtig aussichtslos ist das im Prinzip nur in Louisville, Kentucky. Muhammad Ali ist dort geboren, der Größte. Vbn

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