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Politik: … und raus bist du

Von Alfons Frese

Die deutschen Arbeitnehmer sind friedlich. Wenn die Statistik stimmt, dann gab es in den letzen zehn Jahren nur in der Schweiz und in Japan weniger Arbeitskämpfe. Offenbar funktioniert das Modell Deutschland noch: Der konsensorientierte Umgang von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, von Verbänden und Gewerkschaften, der die wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen 50 Jahren prägte. Doch jetzt reicht’s. Sagt Frank Bsirske, der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, und ruft einige zehntausend Gewerkschaftsmitglieder in den Streik. Um eine Arbeitszeitverlängerung von 18 Minuten am Tag zu verhindern.

Geschlossene Kitas, vermüllte Städte, verschobene Operationen und nicht geräumte Straßen wegen 18 Minuten? Das versteht der Bürger nicht so ohne weiteres. Und der Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft, der in den letzten Jahren immer länger arbeiten musste und womöglich trotzdem weniger verdiente, schon gar nicht. Auch deshalb nicht, weil von seinen Steuergeldern die Kollegen im öffentlichen Dienst bezahlt werden. Warum also bricht Bsirske einen Arbeitskampf wegen 18 Minuten vom Zaun?

Weil es um Grundsätzliches geht. Um die Arbeitszeit als Instrument für mehr oder weniger Arbeitsplätze. Und um die Einheitlichkeit des öffentlichen Tarifrechts. Kurz gesagt wollen die öffentlichen Arbeitgeber ihre Arbeiter und Angestellten so behandeln wie die Beamten: Wie viel bezahlt und wie lange gearbeitet wird, das entscheidet der Dienstherr. So wurde den Beamten die Arbeitszeit verlängert und das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekürzt. So machen es bereits einige Bundesländer mit neu eingestellten Arbeitern und Angestellten. Doch dieses Diktat der Arbeitgeber kann keine Gewerkschaft hinnehmen.

Vor einem Jahr hat Verdi mit dem Bund und den Kommunen eine historische Reform des öffentlichen Tarifrechts vereinbart. Anstelle des verstaubten Bundesangestellentarifs (BAT) mit seinen Sitzprämien und der Vergütung nach Familienstand gibt es nun einen zeitgemäßen Tarif. Künftig spielt auch die Leistung eine Rolle für die Vergütung. Der Haken an diesem allseits gelobten Reformschritt: Die Länder gingen ihn nicht mit. Weil sie länger arbeiten lassen und weniger Weihnachtsgeld zahlen wollen. 2005 hat es Gespräche der Länder mit Verdi gegeben – ergebnislos. Deshalb versucht die Gewerkschaft nun mit Hilfe des Arbeitskampfes, Druck auf die Länder zu machen und die Pläne einiger kommunaler Arbeitgeber, ebenfalls die Arbeitszeit zu verlängern, zu stoppen.

Die Gelegenheit ist günstig. Bsirske kann jetzt seine schlagkräftigsten Truppen – Müllwerker, Erzieher, Pflegepersonals – auf der kommunalen Ebene gegen die Länder einsetzen. Und am 26. März wird in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gewählt. Chaos auf der Straße können die Wahlkämpfer nicht gebrauchen. Wenn es also bis zum 26. März keine Einigung gibt, dann wird es auf absehbare Zeit keine geben. Das bundeseinheitliche Tarifrecht wäre damit Geschichte, durchaus mit dem Risiko, dass künftig die reichen Länder mehr zahlen als die armen. Vielleicht suchen sich dann die besten Lehrer einen Arbeitsplatz in Baden-Württemberg oder Bayern, und in den ostdeutschen Schulen bleiben die schlechten Pädagogen hängen. Das kann niemand wollen.

Also muss eine Lösung im Streit um die Arbeitszeit her. Die von den Arbeitgebern gewünschte Verlängerung ist beschäftigungspolitisch nicht akzeptabel, weil sie Arbeitsplätze kostet. Wenn 40 Leute eine Stunde in der Woche länger arbeiten, dann wird einer dieser 40 nicht mehr gebraucht; 39 machen jetzt die Arbeit von ehemals 40. Die öffentlichen Arbeitgeber entlasten so ihre Haushalte und belasten den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit. Nachhaltige Politik ist das nicht. Ein Kompromiss müsste eine leichte Arbeitszeitverlängerung – Jüngere arbeiten länger, Ältere kürzer – mit einer Arbeitsplatzgarantie verbinden. Zum Wohle der Bürger: Die Zahl der Beschäftigten bleibt konstant, sie arbeiten ein wenig mehr und verbessern dadurch das Angebot. Und am Ende des Arbeitskampfes gibt es nur Gewinner.

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