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Politik: … wir ’ne dicke Lippe riskieren

Camille Javal war ein bemitleidenswertes Mädchen. Wenn es in den Spiegel guckte, musste es weinen, so hässlich war es.

Camille Javal war ein bemitleidenswertes Mädchen. Wenn es in den Spiegel guckte, musste es weinen, so hässlich war es. Camille hatte Hasenzähne, weil sie so lange am Daumen gelutscht hatte. Die Hasenzähne aber formten Jahre danach aus ihren Lippen einen Schmollmund, der so dick war, dass man die Hasenzähne gar nicht mehr sah. Später nannte sie sich Brigitte Bardot.

Auch in Deutschland gab es Hasenzähne und Schmollmund. Sie gehörten Uschi Obermaier, dem SexSymbol der 68er. Jetzt wird ihr Leben verfilmt: Uschi in der Kommune 1, Matratze teilend mit Rainer Langhans, Uschi als Geliebte von Mick Jagger, Keith Richards, Jimi Hendrix, Uschi im Wohnmobil mit dem „Prinzen vom Hamburger Kiez“. Es gibt zwei Produzenten, einen Regisseur, fünf Drehorte und den Titel: „Eight Miles High“, nach einem Byrds-Song.

Nur eine Uschi-Obermaier-Darstellerin fehlt noch. Denn keine kann so schön schmollen wie Uschi. Zu viele Zahnspangenträgerinnen unter den 20- bis 25-jährigen Schauspielerinnen. Die Casting-Agentur hat sich jetzt aufs Laien-Casting verlegt. Unter www.uschiobermaier.de kann jede ein Bewerbungsformular abrufen. Auszufüllen sind die Körper-, Schuh-, Jeans-, BH-Größe, Gewicht, Tattoos/Piercings, Instrumente/Gesang. Singen? Ist da ein Talent unentdeckt geblieben? Ach, lesen mochte Uschi nicht so gern: „Buchstaben sind mir zu unattraktiv.“

Der Casting-Agentur könnte geholfen werden. In den USA ist ein neuer Lippenstift erfunden worden: Lip Venom, „Venom“ heißt Schlangengift. Die Hersteller behaupten, dass die Inhaltsstoffe völlig harmlos sind. Sie lassen das Blut in die Lippen schießen, die dann anschwellen auf Brigitte-Bardot-Format. Die Amerikanerinnen haben angeblich schon vier Millionen Dollar für 266 000 neue Schmollmünder ausgegeben.

Seine dicke Lippe kann man sich auch übers Internet bestellen. So könnten die deutschen Frauen noch heute eine Nation von Uschis werden. Es ist nicht sicher, ob sie das auch wollen; sie müssten dafür Schmerzen in Kauf nehmen. Denn der neue Lippenstift tut höllisch weh. Als klänge „Schlangengift“ nicht gemein genug, hat Lip Venom noch einen Spitznamen: Saugglocke. Der Volksmund ist manchmal schmallippig, aber er hat recht: Schönheit muss leiden.

Die 68er allerdings stehen vor einer bittere Leistungsbilanz: Sie sind angetreten mit Inhalten, und heute interessieren nur noch Uschis Formen. tst

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