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Stresstest für die Euro-Zone. Beim EU-Gipfel in Brüssel gibt es Streit um die Hilfe für Krisenländer wie Spanien und Italien.

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Update

120 Milliarden für die Konjunktur: EU-Gipfel verständigt sich auf Wachstumspaket

Die 27 EU-Regierungen haben sich am Donnerstagabend auf ein gemeinsames Wachstumsprogramm verständigt. Doch die Stimmung auf dem EU-Gipfel ist aufgeheizt wie nie. Italien und Spanien stehen unter Druck - und lassen das auch ihre Partner spüren.

Die Mitgliedstaaten der EU haben sich dem Grundsatz nach auf ein Wachstumsprogramm von 120 Milliarden Euro geeinigt. Mit dem Geld sollen die europäische Konjunktur angekurbelt und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Darauf verständigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs der Union bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstagabend in Brüssel, wie EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy erklärte. Endgültig verabschiedet werden solle das Paket am Freitag.

Zu den zu beschließenden Instrumenten gehören neben einer Kapitalaufstockung für die Europäische Investitionsbank auch die wachstumsfreundliche Umwidmung ungenutzter Mittel aus den EU-Strukturfonds sowie Projektanleihen für grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte. Auf einen entsprechenden Vorstoß hatten sich die EU-Schwergewichte Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien vorige Woche geeinigt.

Van Rompuy zufolge ist das eigentliche Wachstumsprogramm zwar unstrittig. Allerdings gebe es in dem Pakt auch ein Kapitel, das sich auf Finanzstabilität beziehe. Und dessen genauer Inhalt müsse zuerst definiert werden, bevor das Wachstumspaket als Ganzes verabschiedet werden könne.

Es ist mittlerweile der 19. EU-Gipfel seit dem Beginn des Schuldendramas in Griechenland vor mehr als zweieinhalb Jahren. Doch eine Rettungsroutine will sich bei den Staats- und Regierungschefs, die sich am Donnerstag auf ein Neues in Brüssel versammelten, nicht einstellen. Im Gegenteil: Passend zu dem für den Abend in Brüssel vorhergesagten Gewitter ist die Stimmung diesmal besonders aufgeheizt. Die Länder im Süden der Euro-Zone – allen voran Spanien und Italien – fordern schnelle Schritte zur Erleichterung ihrer Zinslast. Die Regierungen von Italien und Spanien behalten sich deshalb eine endgültige Zustimmung zum gesamten EU-Wachstumspakt vor. Das teilten EU-Diplomaten am Donnerstag auf dem EU-Gipfel in Brüssel mit. Die Bundesregierung warnte am Donnerstag davor, immer neue Instrumente zur Lösung der Euro-Krise zu erfinden.

Zu Beginn des ersten Gipfel-Tages näherten sich die Anleihezinsen für zehnjährige spanische Papiere wieder der Sieben-Prozent-Marke. Nach der Meinung des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy kann sich sein Land auf Dauer nicht zu derart hohen Zinsen auf den Anleihemärkten finanzieren. Auch Italien stöhnt gegenwärtig unter hohen Anleiherenditen – am Donnerstagvormittag lagen die Zinsen für zehnjährige Bonds über der Marke von sechs Prozent. Deshalb warnte in Rom auch Ministerpräsident Mario Monti vor einer „Katastrophe“, falls beim Treffen in Brüssel keine klaren Lösungen auf den Tisch gelegt werden. Wie Mitglieder der italienischen Regierungsdelegation berichteten, reiste Monti mit großer Wut im Bauch nach Brüssel.

Doch allen Katastrophen-Szenarien zum Trotz kam noch am Vormittag eine kalte Dusche aus Berlin. Sie galt all denjenigen, die beim Gipfel den großen Wurf erwarten, damit die nervösen Märkte ein für alle Mal beruhigt werden. „Die Erwartungen, die geschürt werden, sind letztlich eines der Probleme, die wir seit einer Weile mit uns herumschleppen“, hieß es aus deutschen Regierungskreisen – möglicherweise auch ein Seitenhieb auf die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde. Die Französin hatte den Europäern jüngst „weniger als drei Monate“ gegeben, um den Euro zu retten. Entsprechend waren auch die Erwartungen an den Brüsseler Gipfel gestiegen.

Es geht um nichts Geringeres als die Behebung des "Konstruktionsfehlers" des Euro.

Dagegen wurde angesichts der jüngsten Hilferufe von Italiens Regierungschef Monti und seines spanischen Amtskollegen Rajoy in Berliner Regierungskreisen vor „übertriebener Panikmache“ gewarnt. Die derzeitigen hohen Anleihezinsen der beiden Länder seien keineswegs der Normalfall, hieß es beschwichtigend. Und für den Fall der Fälle verfügten die Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM schon jetzt über genügend Möglichkeiten für den Aufkauf von Anleihen aus Krisenstaaten – allerdings müssen die betroffenen Länder dabei Auflagen erfüllen. Monti hat aber schon mehrfach erkennen lassen, dass er keine zusätzlichen Reformmaßnahmen akzeptieren will, die eine Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) seinem Land dann verordnen würden. Vielmehr schwebt ihm vor, dass künftig der Euro-Rettungsschirm EFSF dafür garantieren soll, wenn die Europäische Zentralbank die Anleihen von Krisenstaaten aufkauft – eine Lösung, die Berlin bislang nicht mitmachen will.

Hitzige Debatten in der Gipfelrunde waren also vorprogrammiert, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am frühen Nachmittag bei einem Vortreffen der konservativen Staats- und Regierungschefs in der Brüsseler „Academie Royale“ eintraf. Zu diesem Zeitpunkt saß Frankreichs Staatschef François Hollande noch im Zug. Wie schon bei seinem ersten Gipfel-Auftritt im vergangenen Monat reiste Hollande, der ein „normaler Präsident“ sein will, anders als sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy auf dem Landweg in die belgische Hauptstadt. Am Vorabend hatten Merkel und Hollande noch im Elysée-Palast in Paris das Brüsseler Treffen vorbereitet. Das Verhältnis zwischen der konservativen Kanzlerin und dem sozialistischen Präsidenten gilt als angespannt. Zum Auftakt des Gipfels wurde auch gleich deutlich, warum es derzeit in den deutsch-französischen Beziehungen klemmt: Hollande mahnte unmittelbar nach seiner Ankunft in Brüssel „sehr schnelle Lösungen“ für Krisenländer wie Spanien und Italien an. Damit setzte er sich vom bedächtigen Kurs der Kanzlerin deutlich ab.

Trotz allem verfolgt auch Merkel in Brüssel eine durchaus ambitionierte Agenda. Dabei geht es zwar nicht um die unmittelbare Krisenhilfe für Rom und Madrid, sondern um die langfristige Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Gemeint ist nichts Geringeres als die Behebung des „Konstruktionsfehlers“ des Euro, hieß es dazu in Berliner Regierungskreisen. Bekanntlich wurde in den Neunzigerjahren eine gemeinsame europäische Währung geschaffen, die bislang aber ohne eine gemeinsame Finanzpolitik auskommen muss. Beim Abendessen der Staats- und Regierungschefs sollte es nun um die Frage gehen, wie die politische Kontrolle der Euro-Mitgliedstaaten substanziell verbessert werden kann.

Aber auch bei diesem großen Zukunftsthema zeichnete sich Streit ab. Während Merkel dafür plädiert, dass Brüssel größere Durchgriffsrechte auf nationale Haushalte bekommt, sieht beispielsweise Hollande das anders: Nach der Vorstellung des französischen Präsidenten sollen die Nationalstaaten nur peu à peu Souveränitätsrechte abgeben – und dafür vor allem erst einmal ihre gegenseitige Solidarität unter Beweis stellen. (mit dapd)

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