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Die Angeklagte Beate Zschäpe steht am Montag neben ihrem Anwalt Wolfgang Heer im Gerichtssaal in München (Bayern). Vor dem Oberlandesgericht wurde der Prozess um die Morde und Terroranschläge des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) fortgesetzt. Das Gericht möchte mit der Aufarbeitung der einzelnen Mordanschläge beginnen und hat einige Zeugen geladen.

© dpa

Update

14. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Polizisten fallen durch unsensible Aussagen auf

Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München ging es am Montag um den Mord an Abdurrahim Özüdogru, dem zweiten Opfer der NSU-Terrorzelle. Zwei Polizisten, die im Fall aussagten, fielen insbesondere durch ihre unsensiblen Aussagen auf - die erahnen lassen, warum die Nürnberger Polizei zunächst wenig davon hielt, einen rassistischen Hintergrund des Mordes in Betracht zu ziehen.

Von Frank Jansen

Die Bilder sind unerträglich. Der Tote lehnt schief sitzend an der Wand, auf dem linken Unterarm sind Blutspritzer zu erkennen. Es folgen Nahaufnahmen von der Leiche, vom Projektil im Hinterkopf, von einer Blutlache. Abdurrahim Özüdogru war das zweite Mordopfer der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt töteten den Türken am 13. Juni 2001 in seiner Schneiderei in Nürnberg mit zwei Schüssen in den Kopf. Die Polizeifotos vom Tatort werden am Montag im NSU-Prozess gezeigt, projiziert auf zwei Wände im Saal. Als die Bilder gezeigt werden, schaut Beate Zschäpe meist in ihren Laptop. Die anderen Angeklagten blickten ohne erkennbare Regung auf die Bilder oder starrten vor sich hin. Ein pensionierter Kriminalbeamter, der am Tatort für die Spurensicherung zuständig war, erläutert die Bilder als Zeuge. Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München hat die Beweisaufnahme begonnen.

Der einstige Kripo-Mann ist am Vormittag der zweite Zeuge, zuvor hat bereits ohne die Bilder ein Kollege kurz ausgesagt, der am Abend des 13. Juni am Tatort war. Der Tonfall der beiden Polizisten macht die Atmosphäre im Saal noch beklemmender. Der erste Beamte sagt lapidar, er habe die Leiche angefasst und gemerkt, „der ist ziemlich kalt“. Sein früherer Kollege betont mehrmals, dass Werkstatt und Wohnung des Opfers einen unaufgeräumten Eindruck machten. Bei einem Foto sagt er, „im Schlafzimmer ist die Unordnung noch größer, als sie zuvor schon war“. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, was sich in einem Wandschrank befand, der auf einem Foto zu sehen ist, sagt der Ex-Beamte „Krimskrams“. Später ermahnt Götzl den Zeugen, den Zustand der Räume nur zu interpretieren, wenn es einen Bezug zur Tat geben könnte.

Die unsensiblen Aussagen der beiden Polizisten lassen ahnen, warum die Nürnberger Polizei zunächst wenig davon hielt, einen rassistischen Hintergrund des Mordes in Betracht zu ziehen. Ein unordentlicher Türke, der, wie der zweite Zeuge sagt, nach Angaben einer Nachbarin „aufbrauste“, wenn er auf seinen Mercedes angesprochen wurde, dessen Zulassung abgelaufen war – da erschien Özüdogru nach seinem Tod offenbar selbst schnell verdächtig. Der ehemalige Kripo-Beamte sagt, Werkstatt, Wohnung, Keller und Fahrzeug des Opfers seien von Drogenhunden beschnüffelt worden. Beiläufiger Kommentar: „Gefunden worden ist glaube ich nichts.“ Dass der Drogenverdacht in die Irre führte und viel zu lange verfolgte wurde, sagt der Zeuge nicht.

Der 6. Strafsenat hat die Beweisaufnahme mit dem zweiten Mord des NSU begonnen, um halbwegs im Zeitplan zu den geladenen Zeugen zu bleiben. Da der Beginn des Prozesses von April auf Mai verschoben wurde, werden zunächst die Tatkomplexe behandelt, die laut altem Terminplan jetzt anstehen. Der dürfte allerdings auch  bald wegen unvorhersehbarer Geschichten durcheinander geraten. Eine ist die des Briefes, den Beate Zschäpe an einen Häftling der JVA Bielefeld geschrieben hat.

Während der Inhalt des Schreibens weitgehend belanglos erscheint, ist es der Empfänger nach Ansicht von Nebenklage-Anwälten keineswegs. Robin S. entstammt der rechtsextremen Szene Dortmunds – und die Anwälte des 2006 vom NSU in Kassel erschossenen Halit Yozgat stellen  Zschäpes Brieffreund in einen brisant klingenden Zusammenhang. In einem Beweisantrag hat der Anwalt Thomas Bliwier am Montag angegeben, bei einem rechtsextremen Konzert im März 2006 in Kassel habe sich Robin S. mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt getroffen. Auch ein rechtsextremer V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes sei dabei gewesen. Bliwier zieht zudem eine Verbindung zu einem V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes – und zu dessen V-Mann-Führer Andreas T.

Dieser war zumindest kurz vor dem Mord in dem Kasseler Internetcafé, in dem  Halit Yozgat ermordet wurde. Der Fall Andreas T. nährt schon lange Spekulationen, Verfassungsschützer könnten mehr über die Taten des NSU gewusst haben, als der Nachrichtendienst sagt. Aus Sicht Bliwiers fällt außerdem auf, dass das rechtsextreme Konzert im März zeitlich nahe zu den Schüssen in Kassel stattfand – wie auch zum Mord des NSU an Mehmet Kubasik in Dortmund. Kubasik starb am 4. April 2006, zwei Tage später erschossen Mundlos und Böhnhardt in Kassel Halit Yozgat.

Am Nachmittag lässt der Strafsenat die Videos vorführen, in denen der NSU seine Verbrechen gefeiert hat. Der längste Film ist das berüchtigte Paulchen-Panther-Video, in dem die bekannte Trickfilmfigur Morde und Sprengstoffanschläge der Terrorzelle präsentiert. Zu sehen sind unter anderem Fotos, die Mundlos und Böhnhardt gleich nach den tödlichen Schüssen von ermordeten Türken aufnahmen, und Fernsehbilder der beiden Bombenanschläge in Köln. Beate Zschäpe verschränkt die Arme, blickt zunächst wieder in ihr Laptop, dann schaut sie sich die Filme mit versteinerter Miene an. Die anderen Angeklagten sind ebenfalls erstarrt.

Entsetzt blicken vor allem die meist jungen Justizwachmeister und Polizisten. Im Unterschied zu den Prozessparteien und vielen Journalisten kennen sie die Videos noch nicht. Als endlich der letzte Ton der heiteren Paulchen-Panther-Melodie verklungen ist, unterbricht Richter Götzl die Verhandlung für eine Viertelstunde Pause. Zschäpe steht sofort auf und geht aus dem Saal. Wie die Videos auf sie gewirkt haben, ob sie etwas wieder erkannt hat, ist nicht zu beobachten. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe vor, sie habe in den Tagen nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mehrere Exemplare der DVD mit dem Paulchen-Panther-Video verschickt.    

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