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Politik: 191 Tote – zehntausende Jahre Strafe

Urteile im Madrider Terrorprozess, dem größten in der spanischen Justizgeschichte

Das Urteil löst noch einmal Tränen bei den Angehörigen der Terroropfer aus, während es die Angeklagten mit unbewegten Mienen entgegennehmen. Der Nationale Gerichtshof Spaniens verurteilte am Mittwoch 20 der insgesamt 28 Beschuldigten im Madrider Terrorprozess zu harten Haftstrafen. Sie gelten als überführt, den schweren Terroranschlag vom 11. März 2004 in der spanischen Hauptstadt Madrid verübt oder bei der Vorbereitung geholfen zu haben. Die Terroristen hatten mit zehn Bomben vier voll besetzte Vorortzüge in die Luft gesprengt. 191 Menschen waren getötet, 1824 verletzt worden.

Es ist still im Gerichtssaal, als Richter Javier Gomez Bermudez das Urteil verliest. Jahrzehntelange Haftstrafen werden für zwei marokkanische Bombenleger, Jamal Zougam und Otman al Gnaoui, ausgesprochen. Auch jener spanische Sprengstoffdealer namens Jose Emilio Suarez Trashorras, der den Islamisten das Dynamit besorgt hatte, bekommt die Höchststrafe, die sich für jeden der drei theoretisch auf fast 40 000 Jahre summiert. Davon müssen jedoch nach spanischem Strafrecht nur 40 Jahre abgesessen werden.

Sieben mutmaßliche Bombenleger konnten nicht mehr vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Sie sprengten sich drei Wochen nach dem Attentat in ihrem Madrider Versteck in die Luft, als die Polizei ihre Wohnung stürmte. Zudem werden immer noch eine Handvoll Terroristen im Zusammenhang mit dem Anschlag gesucht.

Überraschung löste der Freispruch jenes Islamisten aus, der von der Anklage als „Chefideologe“ bezeichnet worden war. Der Ägypter Rabei Osman al Sajed verfolgte die Urteilsverkündung per Videoschaltung aus Italien. Dort war er bereits wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. In einem von der italienischen Polizei abgehörten Telefongespräch hatte er geprahlt: „Das Attentat war meine Idee.“

Zwei weitere als „Terrorgehirne“ Beschuldigte aus Marokko, Jussef Belhadsch, angeblicher Europasprecher Al Qaidas, und Hassan al Haski, wurden ebenfalls nur wegen „Terrormitgliedschaft“ und nicht wegen Anstiftung verurteilt. Sie erhielten zwölf und 15 Jahre Haft. Die übrigen Verurteilten bekamen Strafen zwischen 18 und drei Jahren. Insgesamt acht Angeklagte wurden freigesprochen. Das Gericht verwarf endgültig die „Konspirationsthese“ von Spaniens konservativer Oppositionspartei, wonach die baskische Terrororganisation Eta etwas mit dem Anschlag zu tun habe. Es warf der Polizei Ermittlungspannen vor und rügte ein „totales Fehlen von Kontrolle“ im Sprengstofflager jenes nordspanischen Bergbaubetriebes, in dem die Terroristen rund 200 Kilogramm Dynamit besorgt hatten.

Mit dem 600 Seiten umfassenden Urteil zog die Terror-Strafkammer einen juristischen Schlussstrich unter den achteinhalb Monate währenden Prozess. Etliche der Verurteilten wollen Berufung einlegen. Auf der Anklagebank saßen 14 Marokkaner, zwei Syrer, ein Ägypter, ein Libanese und ein Algerier. „Wir sind keine Radikalen, sondern ganz normale Muslime“, hatten sie immer wieder gesagt. Auch neun Spanier mussten sich wegen des Verdachtes des Sprengstoffhandels verantworten. Alle hatten eine Tatbeteiligung bestritten.

Der Prozess galt als der größte in der spanischen Justizgeschichte. Seit Mitte Februar waren mehr als 300 Zeugen und 100 Experten gehört worden. Die dreiköpfige Gerichtskammer musste sich durch gut 100 000 Ermittlungsakten arbeiten. Die Anklage hatte sich vor allem auf abgehörte Telefongespräche, auf Fingerabdrücke in konspirativen Wohnungen und Bombenwerkstätten sowie auf Zeugenaussagen gestützt.

Dutzende Angehörige von Todesopfern und hunderte Überlebende des Anschlages verfolgten im Gerichtsgebäude die Urteilsverkündung, viele von ihnen begleitet von Psychologen. Die 49-jährige Pilar Manjon, Vorsitzende der Opfervereinigung, die in der Bombenhölle ihren 20-jährigen Sohn Daniel verlor, fühlt sich immer noch als „Gefangene der Angst“. Keinen Verhandlungstag hat sie im Gerichtssaal gefehlt, hat den Terroristen immer wieder in die Augen geschaut. Und nach Antworten auf die Frage gesucht: Warum?

Ralph Schulze[Madrid]

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