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Wird Trump zum Sargnagel der Republikanischen Partei?

© AFP

2 Tage bis zur US-Wahl: Ein Verlierer steht fest: Die Republikaner

Ob Donald Trump oder Hillary Clinton gewinnt: Amerikas Konservative Partei ist zerstört. Sie hat es sich in der Realitätsverweigerung zu bequem gemacht. Ein Essay.

Die Republikanische Partei steht vor einer dramatischen Niederlage, egal ob Hillary Clinton oder Donald Trump am Dienstag siegt. Selbst wenn Trump das Weiße Haus in einem atemberaubenden Endspurt doch noch gewönne, wäre das kein Erfolg der „Grand Old Party“ (GOP).

Auch das wäre eine Niederlage für das Establishment, das die Partei seit Jahrzehnten geprägt hat. Eine Niederlage gegen einen Außenseiter, der einen Großteil der konservativen Basis mit populistischen Parolen gekapert hat und in Fragen, die zum Kern der Identität der Republikaner gehörten, von der Parteilinie abweicht: etwa Freihandel, Subventionsabbau und interventionistische Außenpolitik zur Verteidigung amerikanischer Interessen.

Die Republikaner stehen so oder so vor einer Überlebensfrage. Einige Kommentatoren fürchten, dass die Partei nach einem Trump-Sieg auseinanderbrechen werde. Dann müssten sich die Kräfte, die das klassische Programm vertreten, reorganisieren. Wenn Trump verliert, wäre auch das eher ein Problem für die Partei als für ihn. Er kann sich beleidigt in seine Anwesen in New York und Florida zurückziehen oder einen neuen Rundfunksender gründen, um seine Bewegung beisammenzuhalten. Er hinterließe jedoch eine zerrissene, geschlagene Partei, die sich neu erfinden müsste.

Das führt zu drei grundsätzlichen Fragen. Was kann der Kern einer solchen Auferstehung sein? Sind die Republikaner zu solch einer Neuorientierung fähig? Und welches Interesse haben die Bürger daran? Oder, anders formuliert: Käme das Land nicht auch ohne eine Partei zurecht, die sich zuletzt vor allem als Störfaktor erwiesen hat – die geradezu destruktiv agierte, als sie die Regierung durch die Verweigerung eines Staatsbudgets mehrfach an den Rand der Zahlungsfähigkeit brachte?

Eine Demokratie braucht mindestens zwei funktionierende politische Kräfte, die potenziell mehrheitsfähig sind. Sie lebt davon, dass die Bürger eine Regierung, mit der sie unzufrieden sind, abwählen und eine Alternative an die Macht bringen können. Wenn dieses Gegenlager fehlt, unterminiert das die Demokratie.

Auch Demokraten hoffen auf ein Comeback der Konservativen

Die Krise der Republikanischen Partei ist in Wahrheit eine Krise des ganzen politischen Systems. Eine aus deutscher Sicht naheliegende Lösung – warum trennen sich die konkurrierenden Parteiflügel nicht und treten separat an? –, hätte im politischen System der USA krisenverstärkende Folgen. Das Land praktiziert Mehrheitswahlrecht. Das begünstigt die Herausbildung von zwei großen Lagern und bestraft die Aufspaltung.

Das deutsche Muster von fünf bis sechs konkurrierenden Parteien, die wechselnde Koalitionen eingehen, entstand, weil in der Bundesrepublik proportionales Wahlrecht gilt. Würden die Republikaner sich aufspalten und die religiöse Rechte, der moderate Wirtschaftsflügel und die ideologischen Konservativen als getrennte Parteien antreten, hätten die Demokraten eine Abonnement auf die Macht. Deshalb hatte weder die „Tea Party“ noch der Mehrheitsflügel der Republikaner ein Interesse, getrennte Wege zu gehen.

So betrachtet haben auch Menschen, die mit der Demokratischen Partei und ihren Zielen sympathisieren, ein übergeordnetes Interesse daran, dass die Republikaner sich wieder fangen. Sonst ist der Kern der Demokratie, die Fähigkeit zum Machtwechsel, bedroht. Diese Alternative muss nicht zwangsläufig eine erneuerte Form der Republikaner sein. Theoretisch könnte auch eine neue Partei in diese Rolle wachsen. In der Praxis sind aber nicht mal ansatzweise andere Kräfte zu sehen – auch wegen der Folgen des Mehrheitswahlrechts.

Abgesehen von zeitweiligen Verirrungen, wie sie die USA aktuell mit Trump erleben, haben in der jüngeren Geschichte nur zwei Grundströmungen breite Anziehungskraft auf Amerikaner ausgeübt. Zum einen das konservative Lager (Republikaner): Es begegnet, auch wenn es nicht immer nach seinen Glaubenssätzen gehandelt hat, staatlicher Macht mit Misstrauen und setzt auf die Selbstverantwortung der Bürger sowie die Selbstentfaltungskräfte einer freien Wirtschaft. Zum anderen das progressive Lager (Demokraten): Es wünscht zwar auch keinen Vollkasko-Staat wie in Europa, sieht aber eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung darin, möglichst vielen die Chance zu einem würdigen Leben durch staatliche Förderprogramme zu eröffnen, vom Existenzminimum über die Gesundheit bis zur Bildung.

Republikaner haben ihre Erneuerungsfähigkeit oft bewiesen

Sind die Republikaner zur Modernisierung fähig? Das ist schwerer zu beantworten. In ihrer 162-jährigen Geschichte haben sie es mehrfach bewiesen. Sie setzten unter Abraham Lincoln die Sklavenbefreiung durch, waren also die Progressiven gegen Beharrungskräfte bei den Demokraten. Einige ihrer weiteren 17 Präsidenten waren Modernisierer, führten die USA zu mehr ökonomischer Prosperität (Theodore Roosevelt), machten die USA zur Führungsmacht der demokratischen Welt gegen die kommunistische Diktatur (Dwight Eisenhower) und gaben dem Land nach den niederdrückenden 1970er Jahren den Optimismus zurück (Ronald Reagan, „It’s morning in America“).

Von außen lässt sich leicht formulieren, warum die Republikaner auch heute ein Eigeninteresse an ihrer Modernisierung haben müssten: um in der Gesellschaft möglichst breit verankert zu sein, was die Voraussetzung für Mehrheitsfähigkeit ist. Von innen sieht das anders aus. Ein Gutteil der Partei lebt „in denial“, in Realitätsverweigerung. Diese Anhänger sehen die Krise, verschließen aber die Augen vor den Ursachen, weil der notwendige Wandel zu schmerzhaft erscheint.

Die Konservativen wollen Amerikas Wandel nicht mitgehen

Amerikas Bevölkerung verändert sich rapide. Durch die Einwanderung und die höhere Geburtenrate der Minderheiten wird die Gesellschaft jünger und diverser. Die Republikaner stellen sich dieser Dynamik entgegen, in der Hoffnung, den Wandel verhindern oder wenigstens verzögern zu können – statt an ihm teilzuhaben. Sie sind demografisch zu einer Partei der alten weißen Männer geworden und geografisch zu einer Partei der Kleinstädte und ländlichen Regionen. Es leben zwar noch immer mehr Bürger in „Small Town America“ als in den urbanen Großräumen, wo die Demokraten dominieren. Aus den drei Merkmalen alt, weiß und männlich lässt sich jedoch keine Mehrheit mehr formen – jedenfalls nicht landesweit. In einzelnen Regionen ist das anders.

Die demografische Spaltung der USA sprang schon bei den Nominierungsparteitagen ins Auge. Die geografische zeigt sich bei den Wahlkampfauftritten kurz vor der Wahl in allen hart umkämpften Swing States: Clinton und Obama haben volles Haus in den Großstädten mit Universitäten, Trump hat volles Haus auf dem Land.

Landesweit stimmen die Frauen, die Minderheiten, die Jüngeren mehrheitlich für die Demokraten, zum Teil mit erdrückenden Mehrheiten. Afroamerikaner wählen zu weit über 90 Prozent die Demokraten. Die Republikaner haben kein attraktives Politikangebot für diese rund zwölf Prozent der Bevölkerung. Latinos, wie man die Einwanderer aus Mexiko, Mittel- und Südamerika nennt, stellen 18 Prozent der Bevölkerung und sind die am schnellsten wachsende Minderheit.

Latinos müssten republikanisch wählen, die Partei vergrault sie aber

Angesichts ihrer Einstellung zu Religion, Familie und Wertkonservatismus könnten die Republikaner erste Wahl für sie sein. Doch die migrations- und latinofeindliche Rhetorik schreckt sie ab. George W. Bush, der zuvor Gouverneur des de facto zweisprachigen Staats Texas war und leidlich Spanisch spricht, gewann bei der Präsidentschaftswahl 2004 40 Prozent des „Latino Vote“, John McCain 2008 31 Prozent, Mitt Romney 2012 27 Prozent. Bei Trump ist fraglich, ob er 15 Prozent erzielt. Auch auf andere Gesellschaftsgruppen, die sich verstärkt politisch organisieren, zum Beispiel Homosexuelle, wirken die Republikaner abstoßend.

Im besten Fall lernen Menschen – und Organisationen – aus Fehlern. Und aus Niederlagen, die in der Regel Folge einer Summe von Fehlern sind. Etwas boshaft stellt sich für die Republikaner die Frage: Wie oft müssen sie noch verlieren, bis sie akzeptieren, dass sie sich ändern müssen?

Die These, dass die GOP ihre Mehrheitsfähigkeit im Kampf ums Weiße Haus verliert, ist nicht neu. Allerdings ziehen die Parteiflügel verschiedene Schlüsse aus der Erfahrung, dass die klassische Marke der Partei zwei Mal gegen den Minderheiten-Kandidaten Obama – einen Schwarzen! – verloren hat und 2016 bereits in den Vorwahlen nicht mal mehr eine Mehrheit in der eigenen Basis bekam. Das liege daran, dass die Parteiführung stets darauf dränge, einen moderaten Kandidaten zu nominieren, der „Independents“ anziehe, die nicht parteigebundenen Wähler, monieren die überzeugten Konservativen. Sie akzeptieren die Prämisse des „Establishments“ nicht, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Die Republikaner hätten mehr Erfolg, lautet ihre Hoffnung, wenn die Partei einen Kandidaten aufstellt, der die reine Lehre vertritt. Das würde die Bürger eher überzeugen als die verdammte Kompromissbereitschaft.

Zwei zentrale Versprechen des amerikanischen Traums bleiben unerfüllt

2016 hat sich eine andere Variante des Aufbegehrens gegen die Parteiführung durchgesetzt: Die Basis nominierte einen Quereinsteiger, der damit warb, dass er mit der gewohnten politischen Klasse nichts zu tun habe. Es sollte freilich zu denken geben, wer in den Vorwahlen der letzte ernsthafte Widersacher Trumps war: Ted Cruz, ein ideologischer Rechtsaußen. Wenn die Republikaner mit Trump ein drittes Mal in Folge die Präsidentschaftswahl verlieren, bleibt für 2020 immer noch eine letzte Ausrede: Die Partei solle endlich mit einem Vertreter der reinen Lehre ins Rennen gehen. Braucht es vier Niederlagen, um die Partei aus dem quälenden „Denial“ zu erlösen?

Die Folgen der Realitätsverweigerung lähmen nicht nur die Partei. Sie lähmen das Land. Die USA können schon seit Längerem zwei zentrale Versprechen des „amerikanischen Traums“ nicht mehr erfüllen. Erstens das ökonomische Integrationsversprechen: Jeder folgenden Generation werde es im Schnitt besser gehen. Die Mittelschicht hat seit drei Jahrzehnten keinen realen Kaufkraftzuwachs mehr erlebt. Zweitens das „Melting Pot“-Versprechen, das in lateinischen Worten auf den Münzen steht: „E Pluribus Unum.“ Unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion formen die USA aus allen Neuankömmlingen eine Nation.

Die Republikaner erreichen nur noch die Weißen

Am sichtbarsten wird diese doppelte Krise bei den Republikanern. Sie erreichen komplette Bevölkerungsgruppen so gut wie gar nicht mehr. Sie machen auch keine Politikangebote mehr für die ganze Gesellschaft, zum Beispiel die Afroamerikaner. Oder die Latinos, die illegale Angehörige in den USA haben. Oder die weiße Unterschicht, die das Existenzminimum nicht selbst erarbeiten kann.

Gewiss sind die Demokraten auch nicht in allen Gruppen und Schichten gleichmäßig verankert. Bei Weißen generell und speziell Männern sind sie deutlich unterrepräsentiert, in ländlichen Regionen ebenfalls. Aber sie schließen auch Gruppen, von denen sie wissen, dass die sie nicht wählen, in ihr Kalkül ein und versuchen sie zu erreichen. Clinton wirbt um die kleinen Farmer; sie überlegt, wie Kohlekumpel und Stahlarbeiter beim Ausbau erneuerbarer Energien eine Existenzgrundlage behalten. Und erklärt, warum ihre Steuerpläne für die Reichsten zumutbar sind.

Sie beherrschen das ländliche Amerika und stellen 31 Gouverneure

Es gibt freilich Faktoren, die es den Republikanern erleichtern, dem Anpassungsdruck auszuweichen. Sie sind ja gar nicht überall erfolglos im Ringen um die Macht. Viele ihrer gewählten Vertreter haben sich bequem eingerichtet in einer Konstellation, die ihnen zwar geringe Chancen eröffnet, den Präsidenten zu stellen, aber andere Machtpositionen umso besser sichert: die Mehrheit im Repräsentantenhaus und die Vorherrschaft in einer Mehrheit der 50 Bundesstaaten. Derzeit stellen sie in 31 Staaten den Gouverneur und in ebenfalls 31 Staaten die Landtagsmehrheit.

Dank der Landtagsmehrheiten haben sie mehr Einfluss auf die Wahlkreiseinteilung für die Kongresswahl. Alle zehn Jahre halten die USA Volkszählungen ab. Danach müssen vielerorts die Wahlkreise neu geschnitten werden, da die Bevölkerung regional unterschiedlich wächst, aber jeder Wahlkreis ähnlich viele Wahlberechtigte haben muss. Durch „Gerrymandering“ – einen für die eigene Partei günstigen Zuschnitt der Wahlkreise – haben sich die Republikaner die verlässliche Mehrheit im Repräsentantenhaus gesichert. Selbst bei einem Erdrutschsieg in der Präsidentenwahl 2016 könnten die Demokraten diese konservative Mehrheit bei der Kongresswahl kaum knacken.

Die Demokraten haben derzeit keine Chance auf die Kongressmehrheit

Um die Chance zu erhöhen, müssten die Demokraten erst einmal die Mehrheiten in mehr Landtagen erringen, um die Wahlkreiseinteilung nach der Volkszählung 2020 zu ihren Gunsten zu verändern. Die andere Hoffnung ist der gesellschaftliche Wandel. Virginia war früher ein verlässlich republikanischer Südstaat. Dank des Zuzugs vieler Menschen, die in der nahen Hauptstadt Washington DC arbeiten, dort aber keinen Wohnraum finden, ist Virginia zu einem Staat geworden, der zu den Demokraten tendiert. Ähnliches kündigt sich in North Carolina an.

Erst wenn die Republikaner die Dominanz in der Fläche der USA verlieren, werden sie dem Druck zur Anpassung an die neue gesellschaftliche Wirklichkeit nicht mehr ausweichen können. Fürs Erste kommen sie damit zurecht, auf die Gestaltungsmacht des Präsidentenamts verzichten zu müssen. Sie trösten sich mit der Verhinderungsmacht, die ihnen ihre Kongressmehrheit bietet. Ein Demokrat im Weißen Haus dient ihnen als Argument, warum die Bürger republikanische Abgeordnete wählen sollen: um die Präsidialmacht zu kontrollieren. Das leuchtet vielen Wählern ein.

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