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20 Jahre Mauerfall: Als die Macht auf der Straße lag

Wie Walter Momper am 4. Dezember 1989 DDR-Bürgerrechtler zum Handeln ermuntern wollte.

Berlin - „Die Macht lag doch praktisch auf der Straße“, meint heute noch sichtlich engagiert einer, der versuchte sie damals aufzuheben. Am 3. Dezember 1989 waren in der DDR Politbüro und ZK der SED zurückgetreten. Die Partei war eigentlich ein Fall für den Konkursverwalter. Ein Machtvakuum ohnegleichen war entstanden. Der das damals erkannt hatte, war kein geringerer als der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper. „Berlin wäre nicht unberührt geblieben, wenn die Entwicklung ringsum außer Kontrolle geraten wäre“, sagt der SPD-Politiker. Und so verkündete er damals vor der Presse, die vom Westen praktizierte „Linie der Nichteinmischung“ aufzugeben.

Momper schickte am 4. Dezember seinen Scout in Sachen DDR-Bürgerbewegung in die Spur: Ralf Hirsch, der Anfang 1988 aus der DDR ausgewiesen worden war, sammelte Vertreter der Gruppen ein, holte auch die Revolutionsikone des Neuen Forums, Bärbel Bohley, und ihren Mitstreiter Reinhard Schult vom Prenzlauer Berg ab. Hinterm Grenzübergang wartete die „Staatskarosse von Momper“, erinnert sich Schult. Wenn er erzählt, mutet das fast wie eine Entführung an. „Quatsch“, meint Hirsch, es sei, wie verabredet, um die Frage gegangen: „Wie geht’s weiter, nachdem die SED abgestunken hat.“

Pfarrer Rainer Eppelmann vom Demokratischen Aufbruch wartete schon im Rathaus Schöneberg, auch der Sozialdemokrat (Ost) Ibrahim Böhme und andere. „Ein bunter Haufen“, erinnert sich Hirsch. Die Meinungen gingen weit auseinander. „Jetzt müsst ihr ran“, versuchte Momper zur Machtübernahme zu motivieren. Die Bürgerrechtler sollten die nichtlegitimierte Volkskammer, SED und Blockparteien links liegen lassen und zusammen mit Prominenten wie Christa Wolf über den Runden Tisch Regierungskontrolle ausüben. Einige Zeitzeugen meinen, Momper habe die DDR-Regierung stabilisieren wollen, andere sagen, er habe sie stürzen wollen. Das sei ein Vorschlag zum „Putsch“ gewesen, schimpft etwa Reinhard Schult heute noch. Momper meint dagegen, so konkret sei man gar nicht geworden. Denn vor allem Bärbel Bohley habe sich strikt geweigert, aus der Oppositionsrolle herauszutreten. Das aber sei „falscher Idealismus“ gewesen.

Was Momper damals nicht wusste: Das Treffen hatte einen dramatischen Vorlauf. Das Volk war aufgewühlt durch Aktenvernichtungen, die Flucht des Devisenjongleurs Schalck-Golodkowski und Aufrufe zum Generalstreik. Viele befürchteten, es könne bei Demonstrationen zu Übergriffen kommen. Bohley hatte deswegen in der Nacht mit Ex-Stasigeneral Markus Wolf konferiert und mit dem Shootingstar der SED, Gregor Gysi, telefoniert. Dabei wurde ein Deeskalationsmodell für die Stasigebäude besprochen. Kontrollgruppen sollten mit Billigung der Regierung in Stasigebäude entsandt werden, um Erstürmungen zu verhindern. „Sonst haben wir morgen eine andere Regierung“, soll Gysi angeblich – laut dokumentierter Erinnerung von Bohley – gewarnt, oder sollte man sagen: gedroht haben? Auch Schult hatte mit anderen noch am Mittag in der Stasi-Zentrale über eine Art Sicherheitspartnerschaft und Stopp der Aktenvernichtung verhandelt.

Als „Abenteurertum“ kanzelte Schult denn auch den Vorschlag zur Machtübernahme ab: Schließlich hätten die 90 000 Stasileute und anderen Sicherheitskräfte damals noch voll unter Waffen gestanden. Statt die Macht an sich zu reißen, setzten die DDR-Gruppen auf Kompromisse mit der SED und den Blockparteien am Runden Tisch, der drei Tage später tagen sollte. Damit, so warnte Momper schon damals hörbar frustriert, würden sie „das Machtmonopol der Kommunisten“ akzeptieren und schließlich Helmut Kohl das Feld überlassen. Die Macht war an diesem 4. Dezember schlicht auf der Straße liegen geblieben.

Der Autor ist Journalist und Historiker. Der ehemalige Pressesprecher der Stasiunterlagenbehörde ist dort derzeit wissenschaftlicher Projektbeauftragter.

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