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Eine Grenze aus leuchtenden Luftballons. 25 Jahre nach dem Mauerfall gedenkt ganz Deutschland der Ereignisse '89. Daraus muss nun auch etwas folgen.

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25 Jahre nach dem Mauerfall: Aus der Rückbesinnung muss ein Neuanfang folgen

"Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen", heißt es bei Erich Kästner. Gedanken zum Mauerfall und einem neuen sozialen Miteinander.

Ja, Wohlstand wollen wir gern, anstatt/dass uns am Ende der Wohlstand hat/Der Mensch lebt nicht vom Brot allein (Wolf Biermann)

So soll es sein. Genau so: Mögen wir alle wohlständiger werden, wohlanständiger, und darüber nichts vergessen, nicht die Freude über diesen einen Tag, dem so viel andere vorausgingen, und nicht den immerwährenden Anspruch, es noch immer zum Besseren zu wenden. Denn, seien wir ehrlich, einen Moment besinnlich: Wenn in den kommenden Jahren die Bilanzen gezogen und gelesen werden, dann wird manch einer und eine sagen, dass dies Land vielleicht zu narzisstisch statt idealistisch oder wenigstens realistisch war. So viel lässt sich heute schon sagen: dass wir uns hüten müssen, jetzt, dieses Urteil in der Zukunft zu provozieren. Aber das kann gelingen!

Revolution darf keine Verlierer Produzieren

Nun ist die erste Frage all der Skeptiker in diesem unserem Lande: Wie? Das ist eine gute Frage – weil sie tief ins Herz dieses Landes führt, weil sie seine politische Klasse trifft, und weil die nicht nur fürs Brot allein zu sorgen hat. Nein, die hat mit Demut an dem zu arbeiten, was doch wirklich ein Geschenk war: an der Einheit. An ihr zu arbeiten heißt, an ihr beständig zu werkeln, zu feilen, zu polieren, wie an einer Werkbank, dabei aber nicht zu vergessen, dass es ein Kunstwerk sein könnte, sollte, das entsteht. Etwas nie Gesehenes, ein neues Stück politischer Arbeit, wie doch auch die Revolution so vorher nie gesehen war: eine friedliche Revolution. Dem muss die Arbeit entsprechen, die Vereinigung, die doch eigentlich historisch gesehen erst kurz zurückliegt. Sie muss das Volk mitnehmen, darf das Gespür für die, die zurückbleiben könnten, nicht verlieren. Sie darf keine Verlierer produzieren.

Es gibt die Forderung nach einem neuen sozialen Miteinander

Eine Vision von einem Kunstwerk ist das, das weltweit bestaunt würde wie der Mauerfall, schon gar in einer Zeit, in der wieder Mauern errichtet werden, in Europa untereinander, gegen andere, gegen Andersdenkende, gegen anders Aussehende. Nichts gegen diese Vision! Sie ist doch nur die logische Fortsetzung dessen, was geschehen ist. Und dessen, wie es geschehen ist: mit Freude, mit Euphorie. Heute können die, die damals alles bewerkstelligten, stolz sein. Auf sich und die, die mittaten. Von heute an geht es wieder darum, mitzutun und sich von der Euphorie vorantreiben zu lassen, die nicht vollends verebbt ist. Nicht bei den Zeitgenossen jener Tage. Und Euphorie ist ja auch kein Taumel, sondern verweist doch nur auf die Fruchtbarkeit des Augenblicks und die Produktivität, die sich aus dem Glück gewinnen lässt. Ein Neubeginn aus der Rückbesinnung – wie viel Schwung ließe sich dafür holen. Für Reformen in noch einmal rückblickender Anerkenntnis der Leistungen, die hüben und drüben erbracht wurden. Was in einem die Forderung nach einem neuen sozialen Miteinander ist.

Demut = Vision ohne Ängste

In aller Demut, ja. Denn Demut heißt nicht ohne Mut, nur weil die Vorsilbe „De“ lautet. Demut bedeutet vielmehr richtig gesehen Vision minus Ängste: Minus die Angst, dass uns hier etwas heillos überfordern könnte. Minus die Angst, dass alles aus dem Ruder laufen könnte. Minus die Angst, dass dieses Volk nicht doch trotz allem auch seine Grenzen kennen würde. Das zeigt allein schon der Tag, den wir heute feiern dürfen.

So soll es sein. Genau so:

Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen. (Erich Kästner)

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