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Politik: 2500 Dollar für ein totes Kind, 3500 Dollar für ein Boot

Die amerikanische Bürgerrechtsunion veröffentlicht schockierende Details über Entschädigungen für irakische Zivilopfer

Zahlen gibt es zuhauf über den Irak-Krieg. Rund 3300 US-Soldaten ließen bislang ihr Leben. Seit Beginn vor vier Jahren hat er die USA annähernd 400 Milliarden Dollar gekostet, 190 000 Dollar pro Minute und mehr als der gesamte zwölfjährige Vietnam-Krieg. Die Firma Haliburton allein, der einst Vize-Präsident Dick Cheney vorstand, wird 13 Milliarden Dollar für Wiederaufbauarbeiten kassieren.

Äußerst vage dagegen sind die Zahlen über Zivilopfer im Irak. Das Pentagon schweigt sich über ihre Zahl aus. Inoffizielle Schätzungen fluktuieren zwischen 150 000 und 650 000 Toten. Zum ersten Mal gewähren jedoch Dokumente über Entschädigungen an Iraker einen Blick hinter die geschlossene Fassade. Die American Civil Liberties Union (Amerikanische Bürgerrechtsunion) hat sich die Zahlen unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz erkämpft und sie vergangene Woche veröffentlicht .

Danach haben zwischen 2003 und 2006 im Irak und zu einem kleinen Teil in Afghanistan 496 Hinterbliebene eine Entschädigung beantragt. 198 Ansprüche wurden abgewiesen. 196 Fälle resultierten in Barzahlungen – die Hälfte davon in Wiedergutmachungszahlen für Tote und Schäden, für die die US-Militärs die Schuld akzeptieren. Die andere Hälfte resultierte in so genannte „Beileidszahlungen” ohne Schuldanerkennung. Sie sind auf 2500 Dollar limitiert. Im Vergleich: US-Hinterbliebene erhalten 100 000 Dollar.

Mehr als die Zahlen schockieren die Details. So erhielt ein Bauer aus der Salah Ad Din-Region im östlichen Irak 11 200 Dollar für 32 Schafe, die bei einer Militäroperation getötet wurden. Dass bei dem Gewehrfeuer auch die Mutter, der Vater und Bruder des Mannes umkamen, dafür fühlte sich das US-Militär nicht schuldig und gewährte 2500 Dollar. In einem anderen Fall in Tikrit fällt ein Fischer im Kugelhagel, als er eine falsche Bewegung macht. Auch für seinen Tod übernimmt die Armee keine Verantwortung, bezahlt jedoch 3500 Dollar für sein Boot, das während der Schießerei abgedriftet ist, samt Fisch und Handy. Als drei Kinder in Hib Hib bei einem Angriff ums Leben kommen, händigen die USA 35 000 Dollar aus – 7500 Dollar für die Toten, der Rest für das beschädigte Wohnhaus.

Nach Meinung der ACLU handelt es sich zwar nur um einen kleinen Prozentsatz aller Fälle. Die Veröffentlichung als solche sei dennoch nicht zu unterschätzen. Sie durchbreche eine Mauer des Schweigens. „Zum ersten Mal”, betont ACLU-Anwalt Jameel Jaffer, „erfährt die Öffentlichkeit von den menschlichen Kosten im Irak.” Danach wurden bislang, so erklärte ein Armee-Sprecher gegenüber der „New York Times”, insgesamt 32 Millionen Dollar an Entschädigung geleistet. Eine winzige Summe in einem Krieg, der täglich 272 Millionen Dollar verschlingt. Zwei Professoren von Harvard und der Columbia University rechnen gar mit Kosten zwischen 750 Milliarden und 1,2 Billionen Dollar, sollten sich die USA nur teilweise in den nächsten fünf Jahren aus dem Irak zurückziehen. Nicht mit eingerechnet sind die Langzeitkosten wie die medizinische Versorgung von Veteranen.

http://www.aclu.org/civiliancasualities

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