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Der Angeklagte Holger G. (hinten) brachte die Ermittler auf die Spur des ebenfalls im NSU-Prozess angeklagten Ralf Wohlleben (vorne).

© dpa

256.Tag im NSU-Prozess: Ermittler stießen nur mit Glück auf Wohlleben

Ein Staatsanwalt verdeutlichte im NSU-Prozess die große Bedeutung des Angeklagten Holger G.: Nur aufgrund seiner Aussagen kamen die Ermittler den Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. auf die Spur.

Von Frank Jansen

Die Ermittler hatten großes Glück. Hätte Holger G., einer der Angeklagten im NSU-Prozess, im November 2011 nicht angefangen zu reden, wären Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt womöglich erst viel später oder nie auf die Personen gestoßen, die mutmaßlich der Terrorzelle die Mordwaffe Ceska 83 beschafft haben. Mit der Pistole hatten die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Ein Hamburger Staatsanwalt, der bei den Ermittlungen gleich nach dem Ende der Terrorzelle im November 2011 die Bundesanwaltschaft unterstützte, hat am Mittwoch als Zeuge im Prozess am Oberlandesgericht München die zentrale Bedeutung der Angaben von Holger G. betont.

Demnach hätte ohne dessen Aussage kein Tatverdacht gegen Ralf Wohlleben und Carsten S. begründet werden können. Womöglich säßen dann zwei Angeklagte weniger im Gerichtssaal. Die Bundesanwaltschaft wirft Wohlleben und Carsten S. vor, die Waffe besorgt und sich damit der Beihilfe zu neunfachem Mord schuldig gemacht zu haben. Carsten S. hat zu Beginn des Prozesses ein Geständnis abgelegt, Wohlleben bestreitet den Tatvorwurf. Holger G. hat seine Angaben auch im Prozess vorgetragen, ebenfalls kurz nach dem Start im Mai 2013. 

Die Behörden hatten Holger G. bald nach dem Ende der Terrorzelle ermittelt

Die Behörden hatten nach dem Ende der Terrorzelle im November 2011 rasch Holger G. als mutmaßlichen Unterstützer der Neonazis ermittelt. Der Mann war schon in den 1990er Jahren als Rechtsextremist und Mitglied einer Clique um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aufgefallen. Nach seiner Festnahme wurde G., der den dreien lange geholfen hatte, nervös und suchte sein Heil in der Kooperation mit den Ermittlern. Zunächst berichtete er, eine Schusswaffe von Wohlleben bekommen zu haben. Holger G. gab auch zu, im Jahr 2000 oder 2001 die Waffe nach Zwickau gebracht zu haben, wo sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vom Sommer 2000 an versteckt hielten. Zschäpe habe ihn am Bahnhof abgeholt, sagte Holger G. dem BKA. „Die drei“ hätten sich dann die Waffe in ihrer Wohnung angeschaut, einer der Uwes habe sie durchgeladen.

Bei dieser Pistole handelte es sich zwar nicht um die Ceska 83, doch Wohlleben geriet erstmals in Verdacht, ein Waffenbeschaffer des NSU gewesen zu sein. Noch im November 2011 wurde der Ex-NPD-Funktionär in Jena festgenommen.

Holger G. erzählte allerdings noch mehr. Er gab an, Wohlleben habe ihm gesagt, die Pistole sei in Jena über das „Madley“ besorgt worden. Dabei handelte es sich um ein Geschäft mit Textilien für die rechte Szene. „Das war ein wesentlicher Ermittlungsansatz“, sagte nun der Hamburger Staatsanwalt im NSU-Prozess.

Mutmaßlich einer der Betreiber des Madley hatte auch die Ceska 83 beschafft und an Carsten S. verkauft. Über diese Spur kamen die Ermittler Anfang 2012 auf Carsten S., den das BKA festnahm. Ein zweiter Glücksfall für die Behörden: Auch Carsten S., der sich längst von der Szene entfernt hatte, packte aus. Und belastete Wohlleben schwer. Der soll laut Carsten S. den Kauf der Ceska eingefädelt und 2500 D-Mark gegeben haben. Carsten S. hat alle Details und noch neue im Prozess angegeben.

Holger G. hingegen hat in München nach seinem Geständnis keine Angaben mehr gemacht und will laut einem Verteidiger auch keine weiteren Fragen beantworten. Wohlleben verlas nach jahrelangem Schweigen im Dezember eine Aussage, in der er sich gegen die Beschuldigung durch Carsten S. und Holger G. verwahrte. Wohlleben gab allerdings zu, sich einst in seiner Wohnung in Jena mit Carsten S. die Ceska 83 angesehen und den mitgelieferten Schalldämpfer aufgeschraubt zu haben. Carsten S. brachte die Waffe dann im Frühjahr 2000 zu Mundlos und Böhnhardt, die damals mit Zschäpe in Chemnitz unter falschen Namen lebten.

Wohllebens Anwälte haben jetzt erneut beantragt, ihren Mandanten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Der 6. Strafsenat hatte mehrmals solche Forderungen abgelehnt und auf den dringenden Tatverdacht gegen Wohlleben verwiesen. Dem schloss sich im Februar 2015 auch der Bundesgerichtshof an, bei dem Wohllebens Verteidiger eine Beschwerde eingereicht hatten. Dass der Ex-NPD-Funktionär nun nach seiner Aussage größere Chancen hat, freizukommen, erscheint allerdings zweifelhaft.

Die für den Mittwoch eingeplanten Antworten Zschäpes auf Fragen zu der im Dezember von ihrem neuen Anwalt Mathias Grasel verlesenen Einlassung sollen nun diesen Donnerstag zu hören sein. Das kündigte Hermann Borchert, der zweite der neuen Verteidiger der Hauptangeklagten, in einem Schreiben an den Strafsenat an. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte ungefähr 60 Fragen zu Zschäpes Angaben aufgelistet. Der Strafsenat möchte unter anderem wissen, was die Frau über die Herkunft der Waffen weiß, die in der von ihr angezündeten Wohnung in Zwickau lagen. Eine war die Ceska 83.

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