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Update

300 Patronen verschossen: Mutmaßlicher Serienattentäter stirbt in minutenlangem Schusswechsel

Er sollte lebend gefasst werden, doch Muhamed Mehra ließ sich nicht zur Aufgabe bewegen. Nach einer nervenaufreibenden Belagerungsaktion ist der 23-Jährige in einem Schusswechsel getötet worden. Aber auch Polizisten wurden verletzt.

Nachdem Polizisten in die Wohnung des mutmaßlichen Serienattentäters von Toulouse eingedrungen sind, leistete der 23-Jährige laut Polizei Widerstand. Gegen 10.30 Uhr seien Elite-Polizisten durch Fenster und Türen ins Haus eingedrungen und hätten mit Video-Robotern das Innere erforscht. Plötzlich sei der Verdächtige aus dem Badezimmer gestürmt und habe mit mehreren Waffen das Feuer auf die Beamten eröffnet. „Es waren häufige Schuss-Salven, ziemlich schwer. Ein Mitglied des Einsatzkommandos sagte mir, dass er noch nie zuvor ein Feuer von einer derartigen Intensität erlebt hat“, sagte Guéant. Die Elite-Polizisten hätten zurückgeschossen. Nach mehrminütigem Schusswechseln sei der Mann dann aus dem Fenster gesprungen und habe mit der Waffe in der Hand weiter gefeuert. Gegen 11.30 Uhr kehrte plötzlich Stille ein. „Er wurde tot auf dem Boden gefunden“, sagte Guéant. Nach Angaben des TV-Nachrichtensenders BFM wurden am Tatort mehr als 300 Patronen verschossen. Guéant dankte den Beamten für ihren „extrem schwierigen Einsatz“. In dem fünfminütigen Feuergefecht sind laut einem Sprecher der französischen Polizeigewerkschaft auch drei Polizisten verletzt worden.

Präsident Nicolas Sarkozy, der den Einsatz in Paris verfolgt hatte, drückte ihnen ebenfalls seinen Dank aus und kündigte über sein Amt eine TV-Rede gegen 13 Uhr an. Die Staatsanwaltschaft will sich am frühen Abend äußern.

Vor dem entscheidenden Einsatz hatte es bereits seit vielen Stunden keine Gespräche mehr mit Mohamed Mehra gegeben. „Wir haben während der Nacht keinen Kontakt mit ihm gehabt, alle Hypothesen sind möglich; wir hoffen, er lebt noch“, sagte der französische Innenminister Guéant am Donnerstag dem Fernsehsender RTL. Priorität der Polizei sei es, den 23-Jährigen lebend zu fassen, damit er sich vor der Justiz verantworten muss. Mehra habe erklärt, er wolle mit der Waffe in der Hand sterben.

Der mutmaßliche Attentäter hatte sich über 30 Stunden in dem Mehrfamilienhaus verschanzt. Verteidigungsminister Gerard Longuet hatte am Mittwochabend dem TV-Sender TF1 gesagt, man wolle den mutmaßlichen Attentäter lebend ergreifen, um ihn vor Gericht stellen zu können. “Wir wollen seine Beweggründe erfahren und hoffentlich herausbekommen, wer seine Komplizen sind, falls es welche gibt.“ Dem 24-jährigen Mohamed Merah wird vorgeworfen, für das Attentat am Montag verantwortlich zu sein. Dabei wurden drei Kinder und ein Lehrer vor einer jüdischen Schule erschossen. Außerdem steht er im Verdacht, Tage zuvor drei Fallschirmjäger getötet zu haben, die wie er aus Nordafrika stammten.

Die Ereignisse vom Mittwoch

Zuvor hatten in die französische Polizei am Mittwochmorgen den mutmaßlichen Täter in einem Großeinsatz in die Enge getrieben. Hunderte Einsatzkräfte umstellten gegen 3 Uhr früh ein Haus im Viertel Croix-Daurade, in dem sich der Verdächtige verschanzt hatte. Nach einem Schusswechsel zwischen der Polizei und dem als Mohamed M. identifizierten Mann, bei dem drei Beamte verletzt wurden, entwickelte sich ein Nervenkrieg: Der Franzose algerischer Abstammung – sein Alter wird mit 23 oder 24 Jahren angegeben – kündigte mehrmals an, sich zu stellen. Dann brach er den Kontakt ab, war aber später wieder zu Verhandlungen bereit. Am späten Abend erklärte er nach den Worten von Frankreichs Innenminister Claude Guéant, er werde sich in der Nacht stellen. Alle Bewohner des fünfgeschossigen Hauses waren bereits bis zum Mittag über das Dach evakuiert worden.

Guéant sagte, der Verdächtige habe erklärt, Al Qaida anzugehören. Den Behörden sei bekannt, dass er einige Zeit in Afghanistan und Pakistan verbracht habe. Der mutmaßliche Täter wolle „Rache für die palästinensischen Kinder nehmen“, die im Nahen Osten getötet worden seien. Darüber hinaus sei er wütend wegen der französischen Militäreinsätze im Ausland. Er habe bereits jahrelang unter Beobachtung gestanden.

Angaben der afghanischen Behörden, nach denen Merah 2007 festgenommen worden sei, weil er Bomben gelegt haben soll, wurden mittlerweile vom Anwalt des mutmaßlichen Serienmörders dementiert. Christian Etelin erklärte, sein Mandant habe vom Dezember 2007 bis September 2009 wegen bewaffneten Raubes in einem französischen Gefängnis gesessen. Damit könne er in der fraglichen Zeit nicht in Afghanistan inhaftiert gewesen sein.

Der Direktor eines afghanischen Gefängnisses hatte behauptet, Merah sei 2008 bei einer Massenflucht entkommen. Auch die Regionalregierung in Kandahar wies diese Behauptungen zurück.

Mohamed M. gab nach Angaben des zuständigen leitenden Staatsanwalt François Molins im Gespräch mit Polizisten zu, am Mittwoch einen Anschlag gegen einen weiteren Soldaten geplant zu haben. Zudem habe der Mann Polizisten erschießen wollen. Er habe bedauert, nicht noch mehr Opfer getötet zu haben. Aus Ermittlerkreisen verlautete zuvor, man sei zuversichtlich, dass es sich um den Todesschützen handele, der am Montag vor einer jüdischen Schule vier Menschen erschossen hatte. Er wird auch mit Mordanschlägen auf drei Fallschirmjäger in Verbindung gebracht. Ein Soldat wurde am 11. März in Toulouse erschossen, zwei weitere am 15. März in der nahe gelegenen Stadt Montauban. Die Männer waren arabischer und französisch-karibischer Herkunft. Aus Justizkreisen verlautete, M.s Mutter sei ebenso wie sein Bruder und dessen Begleiterin zur Befragung in Gewahrsam genommen worden. Im Auto des Bruders habe die Polizei Sprengstoff gefunden.

Die Ermittler waren M. kurz nach dem Anschlag auf die Schule übers Internet auf die Spur gekommen. Dort hatte er sein erstes Opfer wegen einer Kaufanzeige kontaktiert. Die IP-Adresse konnte dem PC seiner Mutter zugeordnet werden. Vom französischen Geheimdienst war M. wegen seiner Reisen nach Afghanistan und Pakistan im November verhört worden.

Staatspräsident Nicolas Sarkozy rief die Bürger seines Landes zur Einheit auf. „Der Terrorismus wird es nicht schaffen, unsere nationale Gemeinschaft zu spalten“, sagte er nach einem Treffen mit Vertretern der jüdischen und muslimischen Gemeinschaft in Paris. Sarkozy fuhr danach zur Trauerfeier für die ersten drei Opfer nach Montauban. Die vor der Schule erschossenen Opfer wurden in Jerusalem bestattet. (dapd/AFP/rtr)

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